echo-Interview, August 2024

Care and Perform – nur ein Arbeitgeber im Gleichgewicht ist ein guter Arbeitgeber

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Lea Ryter Ciampi

echo-Interview mit Lea Ryter Ciampi, Head of Human Resources, Hilti (Schweiz) AG

elipsLife echo: Frau Ryter Ciampi, wie haben sich die bei Hilti arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme und die Absenzen entwickelt?
Auf jeden Fall haben seit der Corona-Pandemie die Absenzen am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Probleme massiv zugenommen, genauso wie die Krankheitsabsenzen allgemein. Von 2021 auf 2022 hatten wir eine Zunahme der Krankheitsabsenzen um 15%, auf 2023 sogar eine um 42%. Für das laufende Jahr sieht es bislang nach einer leichten Abnahme aus, aber bis Ende Jahr kann sich noch Vieles ändern.

Der Arbeitsplatz hat einen grossen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden, wie auch die vor kurzem veröffentlichte «Axa Mind Health Study» gezeigt hat. Gemäss Studie verursachen arbeitsbezogener Stress und arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme einen jährlichen BIP-Verlust von 17,5 Mrd. CHF - allein in der Schweiz. Überrascht Sie dieser Befund?
Eigentlich nicht, diese Zahl spiegelt meine Erfahrungen bei Hilti. Zwar gilt Hilti als sehr guter Arbeitgeber, aber auch unser Unternehmen ist mit Stress-Themen konfrontiert. Auch HR-Kolleginnen und Kollegen anderer Firmen bestätigen mir immer wieder: das psychische Wohlbefinden ist allgemein ein grosses und kostspieliges Thema.

Sie haben es erwähnt, Hilti gilt als hervorragender Arbeitgeber. Die Organisation Great Place To Work® hat Hilti zum Sieger für das Jahr 2024 erklärt. Was macht Ihr Unternehmen besser als andere?
Wir arbeiten seit Jahren intensiv an unserer Mitarbeiterkultur. Hilti kennt die sogenannte Culture-Journey. Jede Marktorganisation hat eine Vollzeit-Stelle, die sich Sherpa nennt und deren Verantwortung einzig und allein die Pflege der Mitarbeiterkultur ist. Diese Person führt mit allen Mitarbeitenden, in der Schweiz rund 520 Personen, alle zwei bis drei Jahre zweitägige Team-Camps durch. Ziel ist es, eine gemeinsame Sprache im Umgang mit dem gewählten Thema zu finden. Hilti ist ein „Great Place to work“, weil wir an der Qualität unseres Arbeitsplatzes arbeiten. Die Firmenkultur ist uns sehr wichtig und wir pflegen einen besonders guten Umgang miteinander. Sowohl unser General Manager als auch Ambassadoren quer durch die Firmenhierarchie sorgen dafür, dass unser Ansatz „Care and Perform“ funktioniert und im Gleichgewicht bleibt.

In aller Kürze: Was macht heute einen guten Arbeitgeber aus?
Das Finden der Balance zwischen Performance, also Leistung, und sich um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern. Ein Arbeitgeber muss seine Mitarbeitenden ernst nehmen und sie das auch erfahren lassen.

Bei Hilti haben Mitarbeiter-Wohlbefinden und betriebliches Gesundheitsmanagement einen hohen Stellenwert. Hat das mit der Firmenkultur zu tun oder rechnet es sich einfach, in das Wohl der Mitarbeitenden zu investieren?
Die Frage, ob es sich rechnet, stellen wir uns nicht. Die Culture-Journey, die Sherpas und die internen Prozesse sind gegeben. Wir machen das, weil wir davon überzeugt sind, das Richtige zu tun. Betrachte ich hingegen die steigenden Arbeitsausfälle, sind die Kosten sehr wohl relevant. Spätestens, wenn bei den alle vier Jahren stattfindenden Verhandlungen des Versicherungsvertrags die Versicherung den Anstieg der Ausfälle moniert. Da stellt sich die Frage, was wir gemeinsam im Rahmen des gewählten elipsLife-Präventionspakets dagegen tun können. Obschon Hilti stark in das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert, haben auch wir Themen, denen wir nach wie vor stark nachgehen wollen.

Was hat dazu geführt, dass Hilti ins betriebliche Gesundheitsmanagement investiert?
Es ist nicht Investition in das betriebliche Gesundheitsmanagement per se, sondern in die Kulturarbeit. Wir stärken das Miteinander. Dadurch sind wir langfristig nachhaltiger unterwegs. Es gibt eine direkte Korrelation zwischen Kulturarbeit und Gesundheit, weil der psychischen Komponente eine grosse Bedeutung zukommt. Bereits Firmengründer Martin Hilti erklärte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu seinem grössten Gut, dem Sorge zu tragen sei. Das Hilti-Grundthema „Care and Perform“ geht also auf den Firmengründer selbst zurück. Sein Sohn Michael Hilti hat diese Einstellung bewahrt und den Culture Journey gestartet, um die Balance zwischen Caring und Performance sicherzustellen. Hilti ist heute wahnsinnig schnell und mit grosser Komplexität unterwegs. Ohne Kulturarbeit wären die Herausforderungen kaum mehr zu meistern.

Die Firmenkultur – ein oft zitierter Begriff und trotzdem ist die Bedeutung des Wortes nur schwer fassbar. Was ist aus Ihrer Sicht eine „gute Firmenkultur“?
Eine gute Firmenkultur zeichnet sich dadurch aus, dass man seinen Leuten zuhört und ihre Bedürfnisse miteinbezieht. Dazu braucht es erstens Führungskräfte, die mit den Leuten arbeiten und ihnen nicht nur sagen, was sie zu tun haben. Zweitens sind die Meinungen der Mitarbeitenden abzuholen. Und drittens braucht es – jedenfalls bei Hilti - die rund 60 Great-place-to-work-Ambassadorinnen und -Ambassadoren. Sie helfen mit, Hilti zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Unsere Ambassadoren sind von ihrer Aufgabe begeistert. Sie haben erkannt, dass sie mit der Kulturarbeit etwas bewegen können.

Sind Firmenkultur, Fringe Benefits und betriebliches Gesundheitsmanagement bei Anstellungsgesprächen bereits ein Thema?
Fringe Benefits sind in den Anstellungsgesprächen immer ein Thema, wobei Hilti keine grosse Palette an Benefits anbietet. Trotzdem schaffen wir es, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, denn wir können mit anderen Leistungen punkten. So haben wir zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Kyan Health, einem ETH-Start-Up, eine App in Betrieb genommen, mit der Mitarbeitende sich selbst reflektieren können, meditieren, einen Coach oder auch psychologische Betreuung anfragen können. Die App bietet diverse Module an, erlaubt es den Mitarbeitenden aber auch, jederzeit eine Psychologin oder einen Psychologen für sofortige Unterstützung ans Telefon zu bekommen. Diesen Support bieten wir nicht nur unseren Mitarbeitenden, sondern auch deren im gleichen Haushalt lebenden Angehörigen. Und wir sehen nach rund einem Jahr, dass das Angebot rege genutzt wird.

Welche Probleme in Bezug auf Gesundheitsfragen stehen bei den Mitarbeitenden im Vordergrund?
Nicht die mentale Gesundheit an sich, sondern Stress und Mengenbewältigung. Das hat seit Corona stark zugenommen. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen heute weniger ertragen. Ob das auf die Isolation während der Pandemie zurückzuführen, eine Folge der rasanten technologischen Entwicklung, auf weitere Aspekte oder ein Mix verschiedener Ursachen ist, kann ich nicht sagen. Der wachsende private Druck und der Druck am Arbeitsplatz haben jedenfalls das Leben intensiver gemacht und bringen immer mehr Menschen an ihre Grenzen.

Seit wann stellen Sie diese Entwicklung fest?
So akzentuiert seit dem Übergang in die Nach-Pandemie-Phase. Hatten wir bei Hilti vor Corona im Schnitt einen Burnout-Fall pro Jahr, sind es heute klar mehr. Eine zunehmende Anzahl Menschen hat Mühe, mental mitzuhalten. Zudem fällt auf, dass vor der Pandemie die Ü-50-Mitarbeitenden eher betroffen waren. Heute habe ich 22- und 26-Jährige, die mir sagen, dass ihnen alles zu viel ist.

Beschäftigt Hilti Schweiz einen eigenen Case Manager, um Mitarbeitenden bei der Reintegration zur Seite zu stehen?
Wir beschäftigen mit dem Sherpa einen Vollzeit- Kulturverantwortlichen, aber keinen eigenen Case Manager. Hilti hat mit elipsLife ein Präventionspaket abgeschlossen, in dessen Rahmen wir jederzeit einen Case Manager aktivieren können. Beim Case Manager geht es darum, als Profi den betroffenen Personen zur Seite zu stehen, zuzuhören und das Gehörte zu sortieren. Die Betroffenen erhalten so einen professionellen Berater, der Empfehlungen in administrativen Belangen geben sowie Ärzte und Psychologen vermitteln kann.

Bekommen die KMU genügend Unterstützung von den Versicherern?
Jedes KMU muss sich fragen, was es zu investieren bereit ist. Entsprechend ist die Unterstützung. Ich habe verschiedene Versicherer erlebt, bei denen man Zusatzpakete lösen kann. Die kosten natürlich. Bei Hilti werden diese Kosten nicht hinterfragt, weil es uns die Prävention wert ist. Ob es heute allerdings noch zeitgemäss ist, für Prävention Zusatzpakete lösen zu müssen, ist eine andere Frage. Aus meiner Sicht gehören diese Leistungen in jedes Grundpaket.

Zur Person
Lea Ryter Campi
Head of Human Resources der Hilti Schweiz AG

Lea Ryter Ciampi, 1980, Schweizerin, leitet seit Mai 2020 bei der Hilti Schweiz AG die Personalabteilung. Gestartet hat sie ihre Karriere nach dem Betriebsökonomieabschluss der FHNW mit Vertiefungsrichtung Human Resources in der Chemiebranche. Anschliessend wechselte sie in die Pharmabranche, um dann für fast fünf Jahre bei Bosch als HR Corporate Manager und HR-Direktorin für die Schweiz tätig zu sein. Sie ist Mutter einer Tochter (12) und eines Sohnes (10), lebt in Olten und verbringt ihre Freizeit gerne mit ihren Kindern, beim Sport (Rennvelofahren, Joggen, Schwimmen) und ihren Freunden.

echo-Interview mit Lea Ryter Campi

Drucken