In der Privatwirtschaft spielen Kundenbedürfnisse eine grosse Rolle. Wie registriert die Suva Kundenbedürfnisse?
Wir setzen hierfür verschiedene Instrumente ein, vor allem regelmässige Umfragen. Wir fragen Verantwortliche in Betrieben, aber auch Verunfallte, wie sie mit unseren Leistungen zufrieden sind. Mit Kunden-Feedback-Systemen verpflichten wir zudem unsere Mitarbeitenden zu Reaktionen, und über Schulungen optimieren wir ihr Verhalten im direkten Kundenkontakt. Das Client Relationship Management der Suva betrachtet die Kundenbeziehungen ganzheitlich und ist bereits weit entwickelt.
Mit diesen Elementen gleichen Sie den fehlenden Konkurrenzdruck aus?
Die Kunden wissen zwar, dass sie bei der Suva nicht aussteigen können. Dennoch äussern sie mit Recht ihren Anspruch auf gute Leistungen und gute Prämien. Über die Verbandsvertreter sind die Kunden im Verwaltungsrat vertreten. Auf diesem Weg können sie ihre Interessen einbringen und tun das auch. Dies ist einer der Gründe, warum das Modell Suva so gut funktioniert.
Welches sind aus Ihrer persönlichen Sicht die Ingredienzen unternehmerischen Erfolges?
Wenn sichergestellt ist, dass eine Institution, ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft ein lernendes System bleibt. Ich habe in St. Gallen diese System-Theorie kennengelernt, und sie hat mich überzeugt. Das Umfeld verändert sich ständig. Ein Unternehmen muss fähig sein, sich immer wieder anzupassen, wenn auch gewisse Grundfunktionen unverändert bleiben. Als Suva haben wir die gesetzlich definierten Grundfunktionen zu erfüllen. Auf welche Weise wir das effizient und nachhaltig tun, überprüfen wir laufend.
Der Verwaltungsrat der Suva besteht aus 40 Mitgliedern. Das tönt nach träger Bürokratie und nicht nach unternehmerischer Dynamik. Wie kann die Suva mit so einem Gremium überhaupt funktionieren?
Die Suva hat sich in den letzten 100 Jahren gut geschlagen. Nicht trotz, sondern dank dem Modell der sozialpartnerschaftlichen Führung. Unser heutiger Verwaltungsrat ist faktisch ein Aufsichtsorgan wie bei einer Genossenschaft. Entsprechend soll er zukünftig auch heissen, beispielsweise «Aufsichtsrat». Das wollen wir im Rahmen der Revision des Unfallversicherungsgesetzes regeln. Aus dem Verwaltungsrat konstituiert sich der Verwaltungsausschuss mit acht Mitgliedern. Er ist der eigentliche Verwaltungsrat gemäss Definition im Obligationenrecht. Zusammen mit der Geschäftsleitung legt er die Strategien fest, entscheidet über das Risk Management und setzt so die Leitplanken für die Entwicklung der Suva. Unser System funktioniert sehr gut.
In welcher Pensionskasse sind die rund 3500 Mitarbeitenden der Suva versichert?
Wir haben eine eigene Vorsorgeeinrichtung mit eigenem Stiftungsrat und verwalten diese gemäss den geltenden Governance-Prinzipien. Speziell ist, dass wir nach wie vor das Leistungsprimat haben. Die technischen Grundlagen haben wir auf den 1. Januar 2013 angepasst und die Sparbeiträge erhöht, sowohl bei den Arbeitnehmenden wie auch beim Arbeitgeber. Trotz gewisser Risiken beim Leistungsprimat im Falle anhaltend tiefer Zinsen sind wir zum Schluss gekommen, dieses System beizubehalten. Das ist möglich, weil wir das gesamte Asset Management der Vorsorgeeinrichtung selber ausführen und unsere Vorsorgeeinrichtung gut dasteht. Der Deckungsrad liegt aktuell bei über 110 %.
Sie sind seit 1999 CEO der Suva. Welchen unternehmerischen Stellenwert hatte während dieser Zeit die Pensionskasse?
Lange Zeit brauchte ich mir rund um die Pensionskasse keine Sorgen zu machen. Sie war gut unterwegs. Dann veränderte sich das wirtschaftliche Umfeld, die Zinsen begannen massiv zu sinken. Auf die tiefen Kapitalerträge müssen wir uns wohl mittel- bis langfristig einrichten. Hinzu kommt, dass unsere Lebenserwartung ständig zunimmt. Entsprechend haben wir unsere Kasse auf eine neue Grundlage gestellt.
Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden 3 bis 5 Jahre im BVG-Bereich?
Ausschlaggebend wird die Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung sein, also das Verhältnis zwischen den versicherungstechnischen Reserven bzw. Vorsorgevermögen und den Verpflichtungen. Daraus lässt sich die Anlagestrategie ableiten. Die heute guten und sehr guten Kassen mit einer hohen Risikofähigkeit werden meiner Ansicht nach noch stärker werden. Sie können aktiv an den Kapitalmärkten teilnehmen. Wer eine aggressivere Anlagestrategie fahren kann, erzielt im Schnitt eine bessere Performance. Pensionskassen, die heute schon gegen eine Unterdeckung kämpfen, haben aber dafür nicht die nötige Risiko-fähigkeit.
Wenn Sie den privaten Pensionskassen in der Schweiz einen Ratschlag geben könnten, wie würde dieser lauten?
Ich würde raten, die Anlagestrategie der Risikofähigkeit anzupassen und an der Reduktion der Kosten zu arbeiten. Die Stiftungsräte sind für das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben verantwortlich. Auf der Ausgabenseite — also gegenüber den Rentnern — ist es praktisch nur in Krisensituationen möglich, die Leistungen zu verändern. Also gilt es, sich auf die Einnahmeseite zu konzentrieren. Nebst einer gut diversifizierten Anlagestrategie sind aber auch die Kosten wichtig, denn diese bestimmen den Unterschied zwischen Brutto- und Nettorendite. Das erfordert die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie Banken oder Beratern, denn kleine Kassen können sich nicht eigene Spezialisten leisten. Parallel dazu sind die Prozessabläufe zu verbessern, oft ein vernachlässigtes Thema. Welche Verwaltungskosten pro versicherte Person generiert die Kasse? Wie lässt sich das noch verbessern? Jeder Franken, der in der Verwaltung eingespart wird, kann in Form von besseren Leistungen weitergegeben werden.
Heisst das, Sie befürworten eine Professionalisierung der Stiftungsräte?
Ja. Wir haben heute in der Schweiz sehr viele Vorsorgeeinrichtungen. Zum Teil ist deren Grösse suboptimal. Eine Bündelung würde das Volumen vergrössern, Skaleneffekte generieren und gleichzeitig zu einer Professionalisierung der Stiftungsräte führen.