elipsLife echo-Interview mit Guido Schilling
echo-interview, Januar 2013

Nicht mehr finanzierbare Leistungsversprechen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Nicht mehr finanzierbare Leistungsversprechen

echo-Interview mit Guido Schilling, VR-Präsident der schilling partners ag

elipsLife echo: Während in der Industrie die Technik im Vordergrund steht, macht im Dienstleistungsbereich der Einzelne den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg aus. Wie ist das zu verstehen?

Guido Schilling: Heute ist Führung ein Produktionsfaktor, in der Industrie genauso wie in Dienstleistungsunternehmen. Während in der Industrie Prozesse, Abläufe und Qualitätssicherung bei möglichst tiefen Kosten im Vordergrund stehen, ist in Dienstleistungsunternehmen die konsequente Ausrichtung auf den Einsatz des Produktionsfaktors «Wissen» sehr zentral. In der Industrie steht das Zusammenspiel von Mensch und Maschine im Vordergrund, in der Dienstleistungsbranche das konsequente Ausrichten auf den Faktor Mensch und das Wissen. Somit ist der optimale Einsatz jedes einzelnen Mitarbeiters auf die Erfüllung der Kundenbedürfnisse das wichtigste Ziel, dessen sich die Führung in der Dienstleistungsbranche annehmen muss.

elipsLife echo-Interview mit Guido Schilling

Alle grossen Unternehmen liefern sich heute einen weltweiten Kampf um Talente. Wie lassen sich in dieser Situation die richtigen Personen für Schlüsselstellen finden?

Zentral ist, dass ein Unternehmen eine eigene Identität aufbauen kann. Authentische Werte, die gegen innen und aussen gelebt werden, sind die Basis, um starke Talente anzuziehen und zu binden. Entscheidend ist, dass eine Firma fähig ist, intern die besten Leute zu erkennen, weiterzuentwickeln und eine konsequente Nachfolgeplanung einzuführen. Bei der Besetzung von Führungspositionen ist das Verhältnis 80 % intern zu 20 % extern gut. Neue Kräfte sollten nur punktuell von aussen geholt werden. Ist das Verhältnis intern zu extern plötzlich 50 : 50, wird die Struktur instabil, die kulturellen Grundwerte können ins Wanken kommen, und ein ganzes Unternehmen kann in Schieflage geraten. Die Weiterentwicklung eines Unternehmens funktioniert am besten, wenn auf den Stärken aufgebaut wird. Dies ist garantiert, wenn ein Grossteil der Schlüsselpositionen mit internen Talenten besetzt wird. Um Talente von aussen anzuziehen, wird die Empfehlungskultur zukünftig zunehmend wichtiger sein, und zudem wird nach Experten punktuell sehr fokussiert mittels Social Media Tools gesucht werden.

Sind die Zeiten der «Kamin-Karriere» vom KV-Stift zum CEO vorbei?

Die Wirtschaftszyklen werden kürzer, und die Märkte verändern sich viel schneller als früher. Um an vorderster Front dabei zu sein, ist der Einkauf von Wissen für ein Unternehmen oft unerlässlich. Was heute an Kompetenz in einem Unternehmen gebraucht wird, ist morgen vielleicht schon nicht mehr gefragt. Deshalb gehen Laufbahnen nicht kontinuierlich weiter, nur weil jemand ehrgeizig ist. Kommt hinzu, dass Fachkarrieren heute eine viel grössere Bedeutung haben als früher. Nicht jeder, der beruflich weiterkommen will, muss führen. Die Verweildauer in einer Position ist kürzer als früher, Wechsel passieren häufiger. Die Loyalität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird über die nächsten Jahre noch weiter sinken.

Die geforderten Frauenquoten für die Chefetage in Schweizer Unternehmen eröffnen Ihrer Branche ungeahnte Wachstumschancen. Oder finden sich topqualifizierte Frauen von alleine?

Bei mehr als 50 % unserer Auftraggeber ist die Diversität des Führungsteams ein Thema. Frauen sind zu wenig visibel, obwohl meine Branche nach Kräften Gegensteuer gibt. Allerdings geht es nicht nur um die Geschlechterfrage allein. Man achtet heute viel stärker auf die optimale Zusammensetzung des Teams, um erfolgreich zu sein, und besetzt Stellen entsprechend. Ein Beispiel: Bei der Besetzung einer Topposition für den asiatischen Markt stellt sich die Frage, ob dafür nicht ein Kandidat oder eine Kandidatin aus Asien die beste Wahl ist. Mittlerweile ist es bewiesen, dass nach Alter, Geschlecht und kulturellem Hintergrund gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen. Die Schweiz wird in Zukunft noch stärker auf Performance setzen müssen als heute. Es gilt, hungrige, motivierte Talente zu identifizieren, die zu überdurchschnittlicher Leistung bereit sind. In dieser Situation sind Unternehmen gut beraten, das grosse Potenzial «Frauen» für sich zu erschliessen.

Was halten Sie von Frauenquoten für das Topmanagement?

Ich bin ein absoluter Gegner von Frauenquoten. Unternehmen müssen jede Position mit der bestmöglichen Persönlichkeit besetzen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen im Kampf um Talente nur in einem Topf fischen. Schreibt ein Staat vor, dass für einen bestimmten Zeitraum nur noch Frauen für Toppositionen gewählt werden dürfen, führt dies zu einer Behinderung seiner Unternehmen im globalen Markt.

elipsLife echo-Interview mit Guido Schilling

Früher war vom Patron die Rede, heute machen Consultants Schlagzeilen, die direkt in Führungspositionen von Unternehmen wechseln, ohne Führungserfahrung mitzubringen.

Führung lässt viele Ausprägungen zu. Bei KMUs hat sich in Führungsfragen während der letzten 50 Jahre wenig Substanzielles verändert, bei der Führung von Konzernen dagegen schon. Erfolgreiche Führungskräfte von Konzernen können zu einem KMU wechseln, umgekehrt ist das fast unmöglich. Ein Consultant arbeitet häufig für grosse Unternehmen und unterstützt diese während Veränderungsprozessen. Dadurch sieht er, was gut läuft und was nicht. Wenn nun ein Consultant Lust hat, bei der Umsetzung von Massnahmen selber aktiv mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen, kann das für ein Unternehmen ein Gewinn sein. Als Consultant steht die Fachkarriere im Vordergrund, beim Wechsel in eine Führungsfunktion kommen die sozialen Kompetenzen zum Tragen.

Was ist denn erfolgreiche Führung? Was macht einen guten Vorgesetzten aus?

Man muss Menschen mögen, wie alt Bundesrat Adolf Ogi einmal sagte. Nebst der Tatsache, dass ein guter Vorgesetzter mit seinem Team die gesteckten Ziele erreichen muss, ist soziale Kompetenz ein wichtiger Faktor, um auch nachhaltig erfolgreich zu sein. Gute Chefs sind fähig, das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu erkennen, weiterzuentwickeln und strategisch für den Unternehmenserfolg einzusetzen. Ein «zeitgemässer» Manager stellt das «Wir» in den Mittelpunkt, das Team. Ein guter Chef ist fähig, sein Team zu inspirieren, kommuniziert regelmässig, wohin die Reise geht, ist entscheidungsfreudig und schafft eine Vertrauenskultur, die Freiräume bietet, um das Potenzial der Mitarbeiter voll auszuschöpfen. Zudem muss eine Führungskraft damit leben können, nicht immer als persönliche Siegerin aus einer Runde hervorzugehen. Sie muss für das grosse Ganze unterwegs sein und nicht für ihr Ego.

Ihre Antwort zeigt: Offensichtlich spielt Sozialkompetenz eine zentrale Rolle. Ist sie in der Auswahl der Topmanager entsprechend prioritär?

Ja. Starke Unternehmen haben für sich den Begriff der -«erfolgreichen Führung» definiert. Nur wer festgelegt hat, was gute Führung ist, kann sie auch messen oder es zumindest versuchen. Deshalb liegt bei jedem Auswahlverfahren ein starkes Augenmerk auf der Sozialkompetenz, welche heutzutage immer mittels eines Assessments in der Tiefe geprüft wird.

Wie erleben Sie als Headhunter das Topmanagement von Versicherungsunternehmen?

Ich habe seit Jahren einen sehr guten Eindruck von der Führung in der Versicherungswirtschaft. Der dem Versicherungsgeschäft zugrunde liegende langfristige Horizont kommt in der Sichtweise und im Handeln des Managements zum Ausdruck. Versicherungsunternehmen haben einen ausgewogenen Bezug zum Umgang mit Risiken und ein gutes Verständnis für die Überprüfung der Zielerreichung. All diese Vorteile können jedoch auch zu einem Mangel an Innovationen führen. Stabilität kommt vor Risikobereitschaft.

Wie werden sich die Anforderungen an Führungskräfte in den nächsten 10 Jahren verändern?

Die Zukunft der Unternehmen wird komplexer, vernetzter, globaler und schneller. Die Arbeitnehmer der Zukunft sind selbstbewusster, freiheitsliebender, sinnsuchender und viel wählerischer in Bezug auf die Frage, wann, wie und wo sie arbeiten wollen. Diese beiden divergierenden Entwicklungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, wird eine ganz zentrale Herausforderung sein für den Manager der Zukunft. Grundvoraussetzungen werden das Beherrschen des Change Managements, der optimale Einsatz neuer technischer Hilfsmittel sowie die Fähigkeit sein, sich in diesem «Dschungel» selbst positiv zu steuern, wenn ganz unterschiedliche Werteverständnisse aufeinandertreffen. Es wird zukünftig mehr der Führungscoach gefragt sein als der klassische Chef. Die Mitarbeiter der Zukunft sind mehr auf sich selber ausgerichtet und stellen sich für eine Aufgabe zur Verfügung, wenn sie auch deren Sinn für sich selber sehen. Traditionelle Anreizsysteme werden die selbstbewussten Mitarbeiter der Zukunft nicht mehr abholen.

Ist eingeschränkte Leistungsbereitschaft der Grund dafür, dass wir in der Schweiz den grössten Anteil an Ausländern in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen haben? Sind Schweizer weniger leistungsbereit?

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass in einem gesättigten Markt, in dem Wohlstand und Sicherheit vorherrscht, überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft nicht in gleichem Mass wie in einem Wachstumsmarkt vorhanden ist. Doch das ist nicht der primäre Grund für die hohe Ausländerquote im Topmanagement. Die Schweiz hat viele global erfolgreiche Unternehmen. Weil diesen hierzulande jedoch nur ein kleiner Teich zur Verfügung steht, in dem sie nach Talenten fischen können, müssen sie sich häufig mit Kompetenz aus Ländern verstärken, in denen ihre Konkurrenten tätig sind. Als Beispiel die «Swiss»: Muss die Airline Führungskräfte rekrutieren, kann sie das entweder intern tun oder bei anderen Airlines. Doch andere Airlines gibt es nur im Ausland. Zudem spricht nichts dagegen, dass Firmen, die nur 5 % ihrer Wertschöpfung in der Schweiz generieren, sich mit Mitarbeitenden aus jenen Ländern verstärken, in denen sie den Grossteil ihres Geschäftes machen.

Bleibt Swissness ein Erfolgsfaktor?

In einer sich immer schneller drehenden Welt werden Stabilität, Vertrauen und Zuverlässigkeit noch wichtiger werden. Schweizer Unternehmen und die Schweiz als Ganzes stehen für diese Werte, die tief verankert sind. Deshalb müssen wir noch mehr als heute auf diese Stärken bauen und darauf vertrauen — anstatt ins Ausland zu schielen.

Wird die Pensionskasse beim Anwerben von Mitarbeitenden in Zukunft zu einem entscheidenden Faktor?

Die Pensionskasse ist ein Hygienefaktor. Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, müssen die Hygienefaktoren — dazu zähle ich u. a. die sozialen Nebenleistungen, eine günstige Lage oder die angenehme Arbeitsplatzatmosphäre — stimmen. Doch sie tragen wenig zur Differenzierung bei: Mit den Hygienefaktoren kann ein Arbeitgeber wenig Bonus holen, aber wenn sie nicht stimmen, einen grossen Malus einfahren.

elipsLife echo-Interview mit Guido Schilling

Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden 3 bis 5 Jahre im BVG-Bereich?

Wir werden extrem gefordert sein. Wir haben ein Gebilde gebaut, das mit dem seinerzeit abgegebenen Leistungsversprechen nicht mehr finanzierbar ist. Der gesellschaftliche Anspruch, wonach nur die arbeitende Bevölkerung zur Sanierung oder Reorganisation beitragen soll, erschwert die Situation zusätzlich. Bei der jetzigen volkswirtschaftlichen Entwicklung und dem tiefen Zinsniveau werden wir die zugesicherten Rentenleistungen aber nicht garantieren können. Beitragszahler und Beitragsbezieher müssen gemeinsam ins Boot steigen. Es kann nicht sein, dass in einer überalterten Schweiz ausschliesslich die arbeitstätige Bevölkerung das Ganze finanziert.

Wenn Sie den Pensionskassen in der Schweiz einen Ratschlag geben könnten, wie würde dieser lauten?

Mut zur Grösse. Wir müssen uns von der Idee der kleinen Pensionskassen verabschieden. Es braucht grosse Kassen, die Skaleneffekte in der Verwaltung erzielen und ihr Kapital auch entsprechend effektiv bewirtschaften können.

Zur Person
Guido Schilling
VR-Präsident der schilling partners ag

Guido Schilling, 1959 geboren, besitzt einen Abschluss als Betriebsökonom. Nach verschiedenen Führungspositionen in internationalen Unternehmen trat er 1987 als Partner in das 1980 gegründete Executive Search Unternehmen ein, welches seit vielen Jahren seinen Namen trägt und auf die Suche von Verwaltungsräten und Geschäftsleitern spezialisiert ist. Als Verwaltungsratspräsident und Senior Partner steht er schilling partners ag vor. Dank seiner über 25 jährigen Tätigkeit im Executive Search verfügt er über umfangreiche Erfahrung in der Besetzung von Geschäfts­ leitungen und Verwaltungsräten. Er ist bestens vernetzt über diverse Branchen und hat einen direkten Zugang zu vielen Entscheidungsträgern in der Wirtschaft. In seiner Freizeit engagiert sich Guido Schilling unter anderem als Verwaltungsratspräsident der Maag Music & Arts AG, Zürich.