echo-Interview mit Christine Egerszegi, Ständerätin des Kantons Aargau
elipsLife echo: Frau Egerszegi, verschiedene Abstimmungsresultate der letzten Jahre zeigen, dass sich zwischen der Classe Politique und der Bevölkerung eine Kluft aufgetan hat. Wie konnte es zu dieser von Skepsis und Misstrauen gekennzeichneten Entwicklung kommen?
Christine Egerszegi: Ich sehe die grosse Kluft nicht zwischen Bevölkerung und Parlament, sondern in der Bevölkerung an sich, insbesondere zwischen der städtischen Bevölkerung und der Landbevölkerung. Die Probleme und Bedürfnisse sind unterschiedlich, was bei Abstimmungsvorlagen immer wieder zum Vorschein kommt. In den Städten ist die Bevölkerung offener und globalisierter als auf dem Land. Im Ständerat sind wir recht nah an der Bevölkerung. Dies in erster Linie deshalb, weil die Parteipolitik keine so grosse Rolle spielt. Im Nationalrat ist es hingegen Mode geworden, keine Abweichler von der Parteimeinung zu dulden. Wenn jedoch in einem Mehrparteienstaat jede Partei nur für sich selber schaut, sind gute Lösungen schwierig zu finden.
…und was können die politischen Kreise dagegen tun?
Information möglichst gut in die Bevölkerung tragen. Ausserdem müssen wir unsere Funktion als Milizparlament wahrnehmen. Wenn ich am Samstag beim Wochenendeinkauf vor der Kasse Schlange stehe, sehe ich, was die Leute vor und hinter mir in ihren Einkaufswagen haben. Auf dem Golfplatz sehe ich das weniger.
Genauso wie sich eine Kluft zwischen der Bevölkerung und der Politik bzw. zwischen Bevölkerungsteilen geöffnet hat, hat auch das Verhältnis zur Wirtschaft gelitten. Ist das Schweizer Volk nicht mehr wirtschaftsfreundlich gesinnt?
Finden sich irgendwo schwarze Schafe, neigen wir dazu, dies zu generalisieren. Schwarze Schafe gibt es aber überall, in der Politik genauso wie in der Wirtschaft. Fälle wie das Grounding der Swissair oder die 68 Milliarden, welche der Staat der UBS geben musste, damit diese in der Finanzkrise überleben konnte, schwächen das Vertrauen. Nach solchen Vorfällen braucht es Jahre, um das Vertrauensverhältnis wieder aufzubauen. Dabei geht unter, was diese Firmen vorher an Positivem geleistet haben. Man sieht bloss noch die Milliardenzahl und übersieht, dass zum Beispiel im Fall der UBS letztlich für den Staat sogar ein Gewinn herausschaute.
An Stammtischen ist oft zu hören: «Wir werden dereinst ja doch keine AHV mehr bekommen.» Was meinen Sie zu solchen Aussagen?
Ein so reiches Land wie die Schweiz wird es sich nie leisten, keine AHV mehr zu zahlen. Die Altersvorsorge ist ein zentraler Pfeiler unseres Staates, und wir haben verschiedentlich feststellen können, dass es der sensibelste Pfeiler innerhalb des Sozialversicherungssystems ist. Die Bevölkerung hat ein unglaublich gutes Gefühl dafür, was überrissen ist und was nicht. Sie lässt weder grosse Ausbauanliegen zu, noch akzeptiert sie grössere Abstriche.
Wie beurteilen Sie persönlich das Niveau der beruflichen Altersvorsorge in der Schweiz?
Unser 3-Säulen-System ist einmalig und funktioniert in vielerlei Hinsicht ausgezeichnet. Zum Beispiel die Finanzierung. In der 1. Säule, der AHV, haben wir das Umlageverfahren: Was auf der einen Seite reinkommt, geht auf der anderen wieder raus. Der Nachteil dabei ist, dass sich mit diesem Geld kein Gewinn erwirtschaften lässt. Dafür wissen wir genau, was in der Kasse ist. Und weil sich alle Fragen rund um die AHV sehr gut berechnen lassen, ist alles transparent. Bei der 2. Säule ist die Finanzierung anders, da lässt sich Gewinn erwirtschaften. Aber überall dort, wo sich Gewinne erwirtschaften lassen, kann es auch Verluste geben. Das geht leider oft vergessen. Die beiden Säulen ergänzen sich bezüglich Finanzierung und sorgen zusammen für einen Ausgleich. Ein weiterer Grund für die Stabilität des Systems ist die Tatsache, dass jede Bürgerin und jeder Bürger AHV-Beiträge einzahlt. Hier spielt die Solidarität zwischen Alt und Jung, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und zwischen Arm und Reich. In der zweiten Säule gibt es neben dem Grundsockel für alle Arbeitnehmenden die Möglichkeit, Besserverdienenden eine Ergänzungsversicherung anzubieten. Während diese Leute bei der AHV viel mehr abgeben, als sie jemals an Rente wieder erhalten, gibt ihnen die 2. Säule die Möglichkeit, ihren Verhältnissen entsprechend vorzusorgen. Das mag vielleicht nicht immer einfach zu erklären sein, ist aber innerhalb des ganzen Systems logisch und in meinen Augen auch eine Form von Gerechtigkeit. Die 3. Säule ergänzt dann als eine Art individueller Sparstrumpf das System.