elipsLife echo-Interview mit Walter Kielholz
echo-interview, April 2014

Den Realitäten endlich ins Auge schauen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Den Realitäten endlich ins Auge schauen

echo-Interview mit Walter Kielholz, Präsident des Verwaltungsrates von Swiss Re

elipsLife echo: Nach Katastrophen gehen die Börsenkurse der Rückversicherer regelmässig runter. Bleiben Katastrophen aus, sinken die Prämien und als Folge davon tauchen die Börsenkurse abermals. Gelingt es den Rückversicherern nicht, Anleger mit den Mechanismen des Rückversicherungsgeschäfts vertraut zu machen?

Walter B. Kielholz: Üblicherweise gehen die Kurse nach einer Katastrophe rauf. Kurzfristig mögen sie vielleicht fallen, aber das dauert nie an. Nehmen Sie den Anschlag auf das World Trade Center im September 2001 als Beispiel. Damals brachen die Kurse kurz ein, gingen in der Folge aber massiv nach oben. Grosse Schadenereignisse sind unter dem Strich positiv für die Börsenkapitalisierung der Rückversicherer. Das war schon immer so und wird von den Meisten auch verstanden. In den letzten paar Jahren hatten wir unglaublich gute Margen im Property- und Specialty-Geschäft. Dass die Bewertungen nicht höher sind, hängt mit den tiefen Zinssätzen zusammen. Aber das Ganze ist sehr komplex, mit Bestimmtheit komplizierter als die Berechnung des Verkaufspreises von Bananen. Das Rückversicherungsgeschäft ist ein Spezialisten-Geschäft. Auch aus Sicht der Investoren.

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Die weltweite Konsolidierung in der Erstversicherungsbranche geht weiter. Ist das eine Chance oder eine Bedrohung für Swiss Re?

Ich habe eher den Eindruck, die Konsolidierung ist zu einem Halt gekommen. Aus zwei Gründen: Erstens haben die Regulatoren aufgehört, grosse Finanzinstitute zu mögen und zweitens hat die Versicherungsbranche vor allem in Europa im Hinblick auf den einheitlichen europäischen Finanzmarkt gerade eine grosse Konsolidierungsphase hinter sich. Hinzu kommt, dass die traditionellen Distributionskanäle massiv unter Druck gekommen sind, so dass Geschäft von den grossen Versicherungen eher abwandert. Global gesehen ist es erstaunlich, wie wenig Konsolidierung es heute gibt.

Zur Finanzindustrie in der Schweiz: Welche Folgen hat die Abschaffung des Bankgeheimnisses für den Finanzplatz Schweiz?

Das Bankgeheimnis hat den Privatbanken ein einfaches Geschäftsmodell ermöglicht, Privatkundengelder liessen sich relativ einfach verwalten. Der Wegfall des Bankgeheimnisses hat das Geschäft anspruchsvoller gemacht. Jetzt gilt es, über Performance, Serviceleistungen und Kosten die Privatkunden zu überzeugen. Jene Vermögensverwalter, die sich einseitig auf das Bankgeheimnis gestützt haben, durchleben eine sehr schwierige Zeit. Bei jenen aber, die sich über internationale Geschäftsmodelle positioniert haben, ist der Zufluss von Kundengeldern ungebrochen. Das Geschäft wird sich aufteilen auf Institute mit vernünftigen Geschäftsmodellen bezüglich Performance, Kosten und Internationalität und Institute, die damit nicht umgehen können. Das klingt positiv. Ich glaube, die Schweiz wird vernünftig in diese neue Phase übergehen können. Weil das Privatkundengeschäft so einfach war, hat man das institutionelle Asset-Management vernachlässigt und dieses Feld anderen Finanzplätzen wie Luxemburg oder London überlassen. Es gibt aber keinen objektiven Grund, weshalb London eine dermassen dominierende Stellung im institutionellen Asset-Management einnehmen soll.

Und die Folgen der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative?

Wir müssen zunächst schauen, was das überhaupt bedeutet. Würden allerdings die bilateralen Verträge mit der EU dahinfallen, hätte primär die Industrie ein grosses Problem. Das wäre ein herber Rückschlag für die Schweiz als Standort. Aber wie gesagt, wir müssen zuerst abwarten, wie das Ganze umgesetzt wird. Viel schlimmer ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass wir mit weiteren Ausrutschern rechnen müssen. Die Frage ist, weshalb es der politischen und wirtschaftlichen Führung im Land nicht mehr gelingt, die Bürger zu erreichen.

Teilen Sie die Ansicht, wonach sich zwischen Wirtschaft und Bevölkerung eine Kluft aufgetan hat?

Es ist primär eine Kluft zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung. Früher folgte die Bevölkerung bei Abstimmungen weitestgehend den Empfehlungen des Bundesrates. Heute ist das nur noch begrenzt der Fall. Das ist eine Folge davon, dass gewisse Kreise seit nunmehr rund 20 Jahren die politische Elite im Land systematisch schlechtmachen. Über die Classe Politique in Bern wird andauernd gelästert, nur die in Brüssel seien noch schlimmer. Das ist verantwortungslos. Es geht nicht an, die politischen Verantwortungsträger laufend in den Dreck zu ziehen. Die Kluft zwischen der wirtschaftlichen Elite und der Bevölkerung hat mit der Rezession, der Lohntransparenz und der Frage der Höhe der Gehälter zu tun. Diese Kluft gibt es schon lange, sie wird jetzt aber besser sichtbar. Es gibt eine Wirtschaftselite, die finanziell massiv bessergestellt ist und zumindest teilweise ein globales Verständnis hat. Dieses Verständnis kollidiert mit dem lokalen oder nationalen Verständnis, das viele Leute haben.

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Weshalb ist es so weit gekommen?

Wie gesagt: Das systematische Schlechtmachen der Classe Politique, verstärkt mit den Läster-Möglichkeiten in den neuen sozialen Medien, dazu die weltweite Wirtschaftsrezession und die Spannung zwischen lokalem und globalem Verständnis haben zu dieser Kluft geführt.

Sehen Sie einen Weg, die Situation zu verbessern?

Vermutlich müssen wir warten, bis genug Schaden angerichtet ist, bevor wir wieder zur Normalität zurückfinden. Viele Vorstösse und Initiativen bringen die direkte Demokratie an ihre Grenzen. Ich denke hier beispielsweise an die Ausschaffungsinitiative, die Minarettinitiative oder die Pädophileninitiative. In der heutigen Stimmungslage lässt sich für Vieles eine Mehrheit finden.

Sie gelten als einer der grossen Wirtschaftskapitäne der Schweiz. Welches sind aus Ihrer Sicht die Ingredienzen unternehmerischen Erfolgs?

Unternehmertum wird schnell einmal mit einem Heiligenschein versehen. Zu einem grossen Teil ist es aber eine Frage des Umfeldes und der Rahmenbedingungen. Investitionskapital muss vorhanden und die Ausbildung gut sein. In der Schweiz stimmen diese Voraussetzungen. Mühe bereitet uns hingegen der Umgang mit dem Scheitern. Während beispielsweise die US-Amerikaner ein Scheitern als Lessons learnt verstehen, erachten wir es eher als Schande. Und das ist falsch, denn Unternehmertum beinhaltet auch die Möglichkeit, mit einer Businessidee keinen Erfolg zu haben.

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Die Pensionskasse von Swiss Re gilt als eine der besten im Land. Doch auch sie hat an Attraktivität verloren: Aufgabe des Leistungsprimats, Erhöhung des Rentenalters, Reduktion des Umwandlungssatzes. Ist das frühere Niveau der PK für die Swiss Re zu teuer geworden?

Ja, sicher. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Gründung der Pensionskasse bei Swiss Re auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgeht. Damals waren die Verhältnisse wie auch die Lebenserwartung noch ganz anders. Das Leistungsprimat entsprach der damaligen Zeit mit seinem doch recht patronalen Verständnis von Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen. Die heutige Lösung mit dem Beitragsprimat ist flexibler und entspricht viel eher den Bedürfnissen der Mitarbeitenden, die sich nicht mehr ein Leben lang an den gleichen Arbeitgeber binden wollen. Gleichzeitig erlaubt dies der Firma, die finanziellen Konsequenzen richtig zu tragen. Trotzdem, wenn ich die heutigen Leistungen betrachte, sind sie immer noch hervorragend.

Vielen Pensionskassen von grossen Unternehmen droht die Gefahr eines krassen Missverhältnisses von Aktiven zu Rentenbezügern. Wie beurteilen Sie diese Gefahr?

Grosse Industrie- oder Distributionsunternehmen, die durch massive Restrukturierungen gegangen sind, haben tatsächlich ein Problem. Hinzu kommt, dass die Rentner immer älter werden und die Zinsen tief sind. Das ist auf lange Zeit problematisch. Tatsache ist, dass seit rund zehn Jahren eine Zentralbankpolitik gefördert wird, die den Schuldner gegenüber dem Sparer bevorzugt. Geldpolitik ist nichts anderes als die Festlegung der Zinsen. Entweder sind diese hoch, was den Sparer gut bedient, oder aber die Zinsen sind tief, was dem Schuldner zugute kommt. In den meisten Fällen ist der Staat der Schuldner. Mit anderen Worten: Auf der ganzen Welt wird dem Staat als Schuldner systematisch das Geld der Sparer zugespielt. Ich habe vor kurzem Bundesrat Berset gesagt, dass sich das BVG nicht reformieren lasse, wenn diese Tatsache nicht anerkannt wird. Wir haben in der Schweiz falsche Zinssätze, wobei es beim BVG eben nicht um die realen Zinssätze geht, sondern leider um die nominalen. Die Pensionskassen sehen sich mit einem schwierigen Umfeld konfrontiert, das grundlegend anders ist als Anfang der 80er Jahre, als man das BVG-Obligatorium eingeführt hat. Damals waren Inflation und Zinsen noch wesentlich höher.

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Wie beurteilen Sie persönlich das Niveau der beruflichen Vorsorge in der Schweiz?

Im Prinzip ist das Niveau hervorragend. In meiner Jugend war das Bild der armen Alten noch präsent. Heute gibt es das nicht mehr. Doch die heutigen Herausforderungen sind beträchtlich. Dazu kommt, dass mit der anstehenden Revision des BVGs einiges kaputt zu gehen droht. Was Bundesrat Berset vorschwebt, läuft auf eine weitere Belastung der aktiven Generation zugunsten der Pensionierten hinaus. Der Grund ist einfach: Die Staatsangestellten und die Sozialdemokraten haben zusammen mit den bereits Pensionierten und denjenigen, die kurz vor der Pensionierung stehen, eine Mehrheit im Land. Die Erhöhung des Pensionsalters oder gar eine Reduktion der Renten scheint also politisch tabu, stattdessen soll alles durch eine höhere Mehrwertsteuer finanziert werden. Das trifft den arbeitstätigen, aktiven Mittelstand. In meinen Augen ist diese alleinige Umlagerung auf die aktive Generation eine Zumutung. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.

Die Pensionskassen stecken in stürmischen Zeiten. Stichworte sind die demografische Entwicklung, tief reservierte Rentenbestände und tiefe Zinsen. Werden die Pensionskassen – und damit wir alle – Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen?

In meinen Augen gibt es zu viele Pensionskassen, die alle ein Leistungsversprechen abgeben, das im Durchschnitt stimmen mag, für den Einzelnen aber nicht. Die Bedürfnisse der Leute sind sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die haben drei Kinder, andere haben keine. Viele wollen früh in Rente, andere länger arbeiten und dafür einen hohen Lebensstandard geniessen. Die einen haben Vermögen, die anderen nicht. Nun definiert das BVG eine Leistung, die für alle gleich sein soll, anstatt zu differenzieren und beispielsweise in der Ansparphase Anreize für das Sparen zu schaffen. In der Leistungsphase – also wenn Renten ausbezahlt werden – braucht es heute unbedingt massgeschneiderte Lösungen, die auf die individuellen Lebensumstände Rücksicht nehmen. Ich befürworte die Wahlmöglichkeit für die Mitarbeitenden. Wir haben heute das Beitragsprimat. Wenn jemand in Rente geht, muss er das Recht haben, die Lösung und Pensionskasse auszuwählen, die am besten zu ihm passt.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden drei bis fünf Jahre im BVG-Bereich?

Wir müssen den Realitäten endlich ins Auge schauen. Man kann an einem völlig realitätsfremden Umwandlungssatz festhalten. Das geht alles zulasten der aktiven Bevölkerung. Die heutige Quersubventionierung der Renten durch die noch Arbeitenden ist störend. Wer soll denn jenen, die heute aktiv sind, einmal die Rente finanzieren?

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Zur Person
Walter Kielholz
Präsident des Verwaltungsrates von Swiss Re

Walter B. Kielholz, Jahrgang 1951, Schweizer Staatsangehöriger, begann seine Laufbahn 1976 bei der General Reinsurance Corporation in Zürich. 1986 trat er bei Credit Suisse ein, wo er für die Kundenbeziehungen zu grossen Versicherungsgesellschaften zuständig war. 1989 stiess Walter B. Kielholz zur Swiss Re. Er wurde 1993 in die Geschäftsleitung berufen und amtete von 1997 bis 2002 als Präsident der Geschäftsleitung. Bevor er 2009 zum Präsidenten des Verwaltungsrates ernannt wurde, war er exekutiver Vizepräsident des Verwaltungsrates von Swiss Re. Von 1999 bis 2014 war Walter B. Kielholz Mitglied des Verwaltungsrates der Credit Suisse Group AG, in den Jahren 2003 bis 2009 als dessen Präsident. Walter B. Kielholz ist in zahlreichen internationalen Verbänden und Instituten aktiv. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und schloss sein Studium mit dem Lizenziat in Finanzwirtschaft und Rechnungswesen ab.