Die weltweite Konsolidierung in der Erstversicherungsbranche geht weiter. Ist das eine Chance oder eine Bedrohung für Swiss Re?
Ich habe eher den Eindruck, die Konsolidierung ist zu einem Halt gekommen. Aus zwei Gründen: Erstens haben die Regulatoren aufgehört, grosse Finanzinstitute zu mögen und zweitens hat die Versicherungsbranche vor allem in Europa im Hinblick auf den einheitlichen europäischen Finanzmarkt gerade eine grosse Konsolidierungsphase hinter sich. Hinzu kommt, dass die traditionellen Distributionskanäle massiv unter Druck gekommen sind, so dass Geschäft von den grossen Versicherungen eher abwandert. Global gesehen ist es erstaunlich, wie wenig Konsolidierung es heute gibt.
Zur Finanzindustrie in der Schweiz: Welche Folgen hat die Abschaffung des Bankgeheimnisses für den Finanzplatz Schweiz?
Das Bankgeheimnis hat den Privatbanken ein einfaches Geschäftsmodell ermöglicht, Privatkundengelder liessen sich relativ einfach verwalten. Der Wegfall des Bankgeheimnisses hat das Geschäft anspruchsvoller gemacht. Jetzt gilt es, über Performance, Serviceleistungen und Kosten die Privatkunden zu überzeugen. Jene Vermögensverwalter, die sich einseitig auf das Bankgeheimnis gestützt haben, durchleben eine sehr schwierige Zeit. Bei jenen aber, die sich über internationale Geschäftsmodelle positioniert haben, ist der Zufluss von Kundengeldern ungebrochen. Das Geschäft wird sich aufteilen auf Institute mit vernünftigen Geschäftsmodellen bezüglich Performance, Kosten und Internationalität und Institute, die damit nicht umgehen können. Das klingt positiv. Ich glaube, die Schweiz wird vernünftig in diese neue Phase übergehen können. Weil das Privatkundengeschäft so einfach war, hat man das institutionelle Asset-Management vernachlässigt und dieses Feld anderen Finanzplätzen wie Luxemburg oder London überlassen. Es gibt aber keinen objektiven Grund, weshalb London eine dermassen dominierende Stellung im institutionellen Asset-Management einnehmen soll.
Und die Folgen der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative?
Wir müssen zunächst schauen, was das überhaupt bedeutet. Würden allerdings die bilateralen Verträge mit der EU dahinfallen, hätte primär die Industrie ein grosses Problem. Das wäre ein herber Rückschlag für die Schweiz als Standort. Aber wie gesagt, wir müssen zuerst abwarten, wie das Ganze umgesetzt wird. Viel schlimmer ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass wir mit weiteren Ausrutschern rechnen müssen. Die Frage ist, weshalb es der politischen und wirtschaftlichen Führung im Land nicht mehr gelingt, die Bürger zu erreichen.
Teilen Sie die Ansicht, wonach sich zwischen Wirtschaft und Bevölkerung eine Kluft aufgetan hat?
Es ist primär eine Kluft zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung. Früher folgte die Bevölkerung bei Abstimmungen weitestgehend den Empfehlungen des Bundesrates. Heute ist das nur noch begrenzt der Fall. Das ist eine Folge davon, dass gewisse Kreise seit nunmehr rund 20 Jahren die politische Elite im Land systematisch schlechtmachen. Über die Classe Politique in Bern wird andauernd gelästert, nur die in Brüssel seien noch schlimmer. Das ist verantwortungslos. Es geht nicht an, die politischen Verantwortungsträger laufend in den Dreck zu ziehen. Die Kluft zwischen der wirtschaftlichen Elite und der Bevölkerung hat mit der Rezession, der Lohntransparenz und der Frage der Höhe der Gehälter zu tun. Diese Kluft gibt es schon lange, sie wird jetzt aber besser sichtbar. Es gibt eine Wirtschaftselite, die finanziell massiv bessergestellt ist und zumindest teilweise ein globales Verständnis hat. Dieses Verständnis kollidiert mit dem lokalen oder nationalen Verständnis, das viele Leute haben.