Hansueli Loosli - Wir müssen zu unserem Gesamtvorsorgewerk Sorge tragen
echo-interview, Dezember 2015

Wir müssen zu unserem Gesamtvorsorgewerk Sorge tragen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Wir müssen zu unserem Gesamtvorsorgewerk Sorge tragen

echo-Interview mit Hansueli Loosli, VRP Coop

elipsLife echo: Herr Loosli, bereiten Ihnen Aldi und Lidl schlaflose Nächte?

Hansueli Loosli: Nein, da wäre ich ja ein schlechter Händler! Aldi und Lidl sind Konkurrenten wie andere auch. Was mir hingegen Sorgen macht, ist der Einkaufstourismus ins grenznahe Ausland.

Können Sie dieses Phänomen in Zahlen fassen?

2015 kaufen Herr und Frau Schweizer allein im Retail, also ohne online-Geschäfte und Ferienausgaben, Waren im Wert von über CHF 12 Mrd. im grenznahen Ausland ein. Dies entspricht etwa 13% des schweizweiten Detailhandel-Umsatzes von rund CHF 90 Mrd. Doch es bringt nichts, über die Konkurrenz oder den Einkaufstourismus zu klagen. Durch Jammern ist noch keiner besser geworden. Klar ist, der Einkaufstourismus wird den Detailhandel in der Schweiz nachhaltig verändern, weil er nicht ein Einmaleffekt ist, sondern zur Gewohnheit wird. Schweizer fahren relativ weit, um jenseits des Rheins einzukaufen. Ich habe mich vor Ort umgeschaut und Autos nicht nur aus Zürich und dem Aargau, sondern auch aus der Innerschweiz oder Bern gesehen.

Warum gibt es überhaupt derart grosse Preiseunterschiede?

Es gibt begründete und unbegründete Preisdifferenzen. Teilweise begründet sind sie bei in der Schweiz hergestellten Produkten, insbesondere landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Das lässt sich nicht einfach so ändern, weil wir im Vergleich zum Ausland eine kleinräumige Landwirtschaft haben. Dadurch ist der Preisunterschied Schweiz-Deutschland beim Rohmaterialpreis teilweise sehr hoch. Das heisst, dass zum Beispiel ein ausländischer Bauer etwa 15 bis 20 Cent pro Liter Milch erhält, ein Schweizer Bauer dagegen einen zwei- bis dreimal höheren Preis. Eine wichtige Rolle spielen auch die in der Schweiz deutlich höheren Löhne, Mieten, Werbekosten, Transportkosten etc., die nur zum Teil mit höherer Produktivität auf allen Stufen wettgemacht werden können.

Auf der anderen Seite stehen die unbegründeten Preisdifferenzen, verursacht vor allem durch die internationalen Lieferanten. Bei diesen haben wir als Schweizer Firma für Waren höhere Einkaufspreise zu zahlen. Diese liegen teilweise sogar höher als die deutschen Detailhändler Verkaufspreise haben. Da kann doch etwas nicht stimmen. Dieser Unterschied lässt sich nicht via höhere Produktivität wettmachen, hier sind wir gefordert. Aber wir werden das packen.

Wie denn?

Indem wir mit den betroffenen Lieferanten Gespräche führen und diesen Missstand klar aufzeigen. Und wenn notwendig uns auch gezwungen sehen, Schritte einzuleiten, wie wir es mit den internationalen Zeitschriften gemacht haben. Wir glauben aber, dass wir in den Gesprächen auch Gehör finden werden, denn nicht nur wir verlieren Mengen, sondern auch die Lieferanten.

echo-Interview mit Hansueli Loosli, VRP Coop

Welches sind die grössten logistischen Probleme für Coop im Alltag?

Der heutige Strassenverkehr mit den Staus und der immer höhere Anteil an Frischprodukten. In einem Supermarkt macht heute der Frischprodukteanteil gute 50% des Umsatzes aus. Das hat Folgen auf die Bestell-Liefer-Prozesskette: Heute bestellen die Filialen die Frischware bis Mittag und am folgenden Tag ist diese vor 6 Uhr im Laden. Auch hat sich das Verhältnis von Bahn- zu Strassentransporten verändert. Wir liefern heute deutlich mehr über die Bahn als vor 10 Jahren. Deshalb haben wir vor einigen Jahren die Railcare AG gekauft. Nach der Eröffnung des neuen Verteilzentrums in Schafisheim 2016/2017 werden wir zum Beispiel von dort alle Tiefkühltransporte über 90 km mit der Bahn ausführen. So können wir unser Versprechen einlösen, bis 2023 in allen selber beeinflussbaren Bereichen CO2-neutral zu werden.

Hunderte von Coop-LKWs besorgen die Feinverteilung der Ware im ganzen Land. Wie wirkt sich die Stau-Flut auf den Schweizer Strassen auf den Betrieb bei Coop aus?

Wir suchen einerseits neue Konzepte, anderseits müssen wir die Transportmittel aufstocken. Ein Beispiel: Auf der chronisch verstopften Strecke zwischen Lausanne und Genf setzen wir seit zwei Jahren keine LKWs mehr ein, sondern die Bahn. Railcare fährt mit Güterzügen von Lausanne direkt in einen Hub mitten in Genf. Dort können die LKWs die Container direkt vom Zug übernehmen und die „letzte Meile“ zu den Genfer Filialen durchführen. Dank des neuen Konzepts konnten wir unsere LKW-Flotte um rund 20 Fahrzeuge reduzieren. Wenn unsere LKWs häufig im Stau stecken bleiben wie vor dem Gubrist, braucht es einfach mehr Mittel, sprich LKWs, um die Ware termingerecht zu verteilen.

echo-Interview mit Hansueli Loosli über Aldi und Lidl

Coop ist seit Jahren in einer Phase grossen Wachstums. Mit einem Umsatz von 17,7 Mrd. im Detailhandel und 27,2 Mrd. auf Gruppenebene hat Coop zu Migros aufgeschlossen. Gibt es in der Schweiz noch Platz für weiteres Wachstum?

In der Schweiz haben wir zwei Phänomene: Erstens gehen die Preise deutlich runter, wobei es bei rückläufigen Preisen bereits eine Kunst ist, den Umsatz zu halten. Zweitens haben wir im Detailhandel in den letzten Jahren von der Einwanderung profitiert. Zwar verzeichnen wir wie erwähnt eine „Auswanderung“ über den Einkaufstourismus, aber es leben deutlich mehr Leute in der Schweiz als noch vor 10 Jahren. Unter dem Strich ist der Markt heute von Verdrängung geprägt. Was Coop wächst, verliert ein anderer. Und wegen des Einkauftourismus‘ verlieren alle an Geschäft.

Coop hat seit der Gründung 1864 die rechtliche Form einer Genossenschaft und heute rund 2,5 Mio. Genossenschafter. Wie vereinbart sich ein Jahresgewinn von CHF 470 Mio. mit dem Genossenschaftsgedanken?

Sehr gut! Wenn wir die Gewinnmarge rechnen, machen die 470 Mio. auf die rund 27 Mrd. Umsatz knapp 1,75% aus, verglichen mit anderen Branchen ist das wirklich wenig und hochanständig. Als profitorientierte AG müssten wir klar mehr erzielen, um auch Dividende auszahlen zu können. Wir investieren 80% des Cash Flow in bessere Kundenleistungen – bei Neu- oder Umbauten oder direkt in tiefere Verkaufspreise. Aber auch Coop hat Kreditgeber und diese haben Anforderungen. Deshalb müssen wir uns so verhalten und messen lassen wie jedes andere Unternehmen auch. Unser Vorteil als Genossenschaft ist, dass unser Gewinn nicht verteilt wird, sondern ins Eigenkapital fliesst. Damit sichern wir, dass die Firma eigenständig bleiben und eine solide Bilanz präsentieren kann.

In den Medien war wiederholt zu lesen, das markante Coop-Wachstum der letzten Dekade trage die Handschrift von Hansueli Loosli. Wie ist das zu verstehen?

Sie glauben ja nicht im Ernst, dass ich das allein erreicht habe. Ich hatte das Glück, über 70‘000 gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um mich zu haben. Ich war immer der Meinung, es müsse nicht nur in Beton, Waren oder Systeme, sondern gleichzeitig in die Mitarbeitenden – sei es bei der Ausbildung oder bei den Löhnen – investiert werden. Die Lohnentwicklung von Coop belegt dies. Von 2001 bis 2014 hatten wir in der Schweiz eine Teuerung von 11%, aber eine Lohnsteigerung von 26%. Die Produktivität stieg gleichzeitig um über 40%. Das zeigt: Erfolg ist immer ein Geben und Nehmen. Mitentscheidend an diesem Fortschritt war zudem der Schritt, von den 15 Genossenschaften, die noch Mitte der 1990er Jahre Coop bildeten, wegzukommen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die Ingredienzen unternehmerischen Erfolgs?

Zuerst braucht es einen klaren Kopf. Dann muss man, gerade im Detailhandel, die Menschen gern haben, denn sie machen den Unterschied beim Kunden. Auch wenn in jüngerer Vergangenheit stark in die Informatik investiert werden musste, ist Retail kein automatisiertes, hochtechnologisches Geschäft, der Mensch steht immer im Mittelpunkt. Schliesslich muss man eine total auf Kundenbedürfnisse ausgerichtete Strategie verfolgen, von der nicht gleich beim ersten Sturm abgekehrt werden darf. Verbesserungen sind immer gefragt, Kehrtwendungen aber sind falsch. Schliesslich braucht es auch eine gewisse Stetigkeit, um die Leute bei der Stange zu halten.

echo-Interview mit Loosli über Wachstum

Coop beschäftigt über 77‘000 Mitarbeitende, 53‘000 davon in der Schweiz. Welche Bedeutung hat vor diesem Hintergrund die Coop Pensionskasse CPV bei unternehmerischen Entscheiden des Unternehmens?

Coop hat eine der ältesten Pensionskassen der Schweiz. Sie geht auf das Jahr 1914 zurück. Die Gründer haben mit der PK einen weitsichtigen Entscheid getroffen. Nicht nur wegen der sozialen Abfederung im Sinne der Altersvorsorge, sondern auch wegen der grosszügigen Ausgestaltung der Beitragszahlungen: Die Firma hat immer zwei Drittel der Beiträge übernommen. Nicht zuletzt deshalb war die PK in dieser Form immer ein wichtiger Teil im Gesamtgefüge von Coop.

Spielen die Leistungen der CPV bei Neuanstellungen eine Rolle? Mit anderen Worten: Ist eine attraktive Pensionskasse aus Ihrer Sicht ein Differenzierungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz?

Die Leistungen sind sicher ein Argument, insbesondere wenn man eine gesunde Pensionskasse ins Feld führen kann. Das Thema hat heute mit Bestimmtheit einen grösseren Stellenwert als noch vor 10 Jahren. Damals interessierte sich doch kein Junger für Pensionskassenleistungen. Er oder sie wunderte sich höchstens über die Lohnabzüge. Die Diskussionen über die demografische Entwicklung oder das Tiefzinsumfeld haben der Vorsorge eine andere Bedeutung gegeben.

Wie beurteilen Sie das Niveau der beruflichen Vorsorge in der Schweiz?

Vorsorge hat in der Schweiz eine viel grössere Bedeutung als im Ausland. Coop beschäftigt gerade hier in Basel viele Grenzgänger, und ich stelle immer wieder fest, dass für diese die Leistungen unserer PK einen grossen Wert darstellen. Die Schweiz ist in der Frage der Altersvorsorge ein privilegiertes Land. Das Niveau der Pensionskassen ist sehr gut. Wichtig ist ausserdem, dass sowohl die Mitarbeitenden als auch die Firma dazu beitragen. Eine gute Pensionskasse stellt je länger je mehr ein Bindungsinstrument dar. Wir machen mit unserer guten Pensionskasse zwar keine Werbung, aber in Anstellungsgesprächen ist sie durchaus ein Thema.

Die Pensionskassen stecken in unruhigen Zeiten, die demografische Entwicklung und tiefe Zinsen sind nur zwei Stichworte. Werden die PKs – und damit wir alle – Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen?

Das ist die grosse Frage. Die demografische Entwicklung können wir kaum beeinflussen. Die Zinsen dagegen schon. Wie lange bleiben die Zinsen noch so tief? Die Pensionskasse ist langfristig auszurichten. Mit Blick in die Zukunft ist die Verteilung zwischen Jung und Alt bzw. Aktiven und Passiven ein Thema, das uns beschäftigen wird. Es gilt, den Deckungsgrad so zu halten, dass dieser uns nicht ins Elend führt. Deshalb ist der technische Zinssatz zu senken und die Umwandlungssätze sind anzupassen. Die Frage ist, wie wir das sozialverträglich für Junge wie auch für diejenigen, die kurz vor Pension stehen, lösen können.

Die durch die geplante Revision (AVG 2020) verursachten Mehrkosten sollen zu einem Teil durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden. Ist das der richtige Weg?

Es ist zumindest sicher ein Weg, der beide Seiten, Jüngere und Ältere, Aktive und Passive gleich behandelt. So gesehen ist es für mich ein gerechter Weg.

Was halten Sie von der Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65?

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass wir zu früh in Rente gehen. Da nehme ich jene Leute aus, die körperliche Schwerstarbeit leisten, beispielsweise auf dem Bau oder Zerleger in Metzgereien. Es gibt sehr viele Leute, die bis 67 oder 70 arbeiten können und wollen. Bei Coop können alle ab 58 frühzeitig – mit reduzierter Rente, versteht sich – und regulär mit 63 in Pension gehen. Viele Mitarbeitende wollen jedoch, allenfalls mit reduziertem Pensum, bis 65 oder länger bleiben. Erfahrung ist etwas, das heute zählt. Ich habe jedenfalls überhaupt keine Probleme, auch 55-Jährige einzustellen.

Leistungsreduktionen scheinen unausweichlich, um unser Vorsorgesystem erhalten zu können. Sollen auch die Rentenbezüger zur Sanierung beitragen oder halten Sie einmal erworbene Rentenansprüche für tabu?

Ich glaube kaum, dass man die Leistungen bei den bestehenden Rentnern reduzieren kann. Diese haben ein Leistungsversprechen erhalten und sollen deshalb das ihnen Zugesagte auch bekommen. Auf der anderen Seite muss man diese Frage für die zukünftigen Rentner aufnehmen. Eine Flexibilisierung sowohl bei den Beiträgen der Aktiven wie auch bei den Renten ist in meinen Augen anzustreben. Bei der Diskussion über die bestehenden Rentenansprüche muss man fairerweise sagen, dass die Leute, die heute und morgen in Rente gehen, auf einem ganz anderen Niveau Rente beziehen als dies noch vor 15 Jahren der Fall war. Wir sind mit der nächsten Generation gefordert, alles daran zu setzen, dass unsere Vorsorgewerke gesichert bleiben. Und da können alle dazu beitragen.

Wenn sie den Pensionskassen in der Schweiz einen Rat geben könnten, wie würde dieser lauten?

Wir müssen zu unserem Gesamtvorsorgewerk, zur AHV wie auch zur Pensionskasse, Sorge tragen. Das sind wertvolle Errungenschaften. Ferner gilt es, wieder zu einem Generationenvertrag zu finden. Damit meine ich einen allgemein akzeptierten Ausgleich zwischen den Jungen und den Pensionierten. Für gewisse Leute mag die Pensionskasse zwar als eine Art Zwangssparen gelten, aber wenn sie dann die Rente bekommen, sind auch sie glücklich.

Zur Person
Hansueli Loosli
VRP Coop

Hansueli Loosli, 1955, bildete sich nach einer kaufmännischen Lehre zum diplomierten Experten für Rechnungslegung und Controlling weiter. Danach arbeitete er als Controller für die ABB Schweiz AG sowie in leitender Funktion für Mövenpick und Waro. 1992 stiess er als Direktor Warenbeschaffung zu Coop, wo er gleichzeitig auch den Vorsitz der Geschäftsleitung von Coop Zürich übernahm. 1997 folgte die Ernennung zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung der Coop-Gruppe und 2011 die Wahl in den Coop-Verwaltungsrat, wo er zum Präsidenten ernannt wurde. Seit 2009 ist Loosli Mitglied des Verwaltungsrats der Swisscom AG, seit September 2011 dessen Präsident. Zudem ist er Präsident des Verwaltungsrats der Bell AG, der Transgourmet Holding AG sowie der Coop Mineraloel AG. Für seine Leistungen wurde Hansueli Loosli 2003 mit dem Unternehmerpreis «SwissAward» sowie 2010 als Schweizer «Unternehmer des Jahres» ausgezeichnet.

echo-interview with Hansueli Loosli

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