elipsLife Interview mit Heinz Karrer
ECHO-INTERVIEW, FEBRUAR 2015

Die Schweiz ist das am besten vernetzte Land der Welt

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Die Schweiz ist das am besten vernetzte Land der Welt

echo-Interview mit Heinz Karrer, Präsident des Vorstands von economiesuisse, Verband der Schweizer Unternehmen

elipsLife echo: Herr Karrer, economiesuisse ist die Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft, rund 100'000 Unternehmen mit zwei Millionen Beschäftigten stehen hinter der Organisation. Was ist die Kernaufgabe von economiesuisse?

Heinz Karrer: Wir vertreten die Interessen der Wirtschaft im politischen Prozess. Unser Ziel ist es, optimale Rahmenbedingungen für die Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Schweiz zu schaffen.

Die Schweiz steht als Nicht-EU-Mitglied in Europa ziemlich isoliert da, erst recht seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Wie viel Abgrenzung verkraftet das Land oder anders rum: Wie viel Öffnung braucht das Land?

Die Schweiz ist nicht isoliert. Ganz im Gegenteil, sie ist das am besten vernetzte Land der Welt. Die Schweiz stand schon immer für Öffnung und für Handelsbeziehungen zu anderen Ländern. Auch als Nicht-Mitglied der EU. Bezüglich Anzahl Einwohner liegt die Schweiz weltweit auf Rang 94. Betrachten wir aber die Wirtschaftskraft, rangiert unser Land auf dem 19. Rang. 56% der Exporte gehen in die EU, 75% aller Einfuhren kommen aus der EU. Dies beweist, welch grosse Bedeutung das Verhältnis zur EU hat. Und dieses Verhältnis hat einen Namen: die bilateralen Verträge. Mit diesen Verträgen sind wir bislang ganz gut gefahren und es geht jetzt darum, sie aufrecht zu erhalten. Der zweite Pfeiler sind die Freihandelsabkommen mit den anderen Ländern. Mit dem Abschluss des Freihandelsabkommens mit China hat Bundesrat Schneider-Ammann einen wichtigen Meilenstein gesetzt.

Die Aufgabe des Euro-Mindestkurses hat in vielen Wirtschaftskreisen für Aufregung gesorgt. Wie ist diesbezüglich die Stimmung in Ihrem Verband einen Monat nach dem Entscheid?

In Zusammenhang mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses müssen wir weiter zurückblenden. Wir kommen von einer Wechselkurssituation, bei der ein Euro noch CHF 1,60 Wert war. Mit anderen Worten, die Schweizer Wirtschaft insgesamt hat in den letzten fünf Jahren eine anspruchsvolle Phase durchlaufen. Sowohl auf struktureller Ebene wie auch auf Unternehmensstufe waren Anpassungen nötig. Die Kursanbindung schaffte grosse Sicherheit in Sachen Währungsschwankungen. Am 15. Januar war das mit einem Schlag vorbei, und erwartungsgemäss überschossen die Wechselkurse. Für sehr viele Unternehmen war das ein Schock, vor allem für jene, die vorwiegend in den Euroraum exportieren. Für viele wird es sehr schwierig, die jetzige Wechselkurssituation zu meistern. Das ist nicht für die gesamte Wirtschaft gleich, denn Firmen, die geografisch breit diversifiziert sind, sind weniger betroffen. Gleichwohl ist jedes Unternehmen in irgendeiner Form tangiert. Unsicherheit erzeugt auch die Frage, wo sich der Wechselkurs einpendeln wird. Aus unserer Sicht ist das ein eher langfristiges Phänomen, das eine grosse Volatilität beinhaltet. Den richtigen Umgang damit zu finden, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar.

Hat sich ein Teil der Wirtschaft zu sehr auf die Absicherung der Untergrenze verlassen?

Das glaube ich nicht. Die Nationalbank hat immer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Kursabsicherung eine temporäre Massnahme sei. Alle haben das gewusst. Die Frage war nur, wann die Untergrenze aufgehoben wird.

elipsLife Interview - Heinz Karrer

Nach der Aufhebung der Kursanbindung haben die Wirtschaftsverbände Massnahmen zur Kostensenkung verlangt. Einzelne Unternehmen reagierten mit Arbeitszeitverlängerungen. Auch von tieferen Löhnen war die Rede. Wird so nicht an der Sozialpartnerschaft geritzt?

Es handelt sich um einen Kostenschock und nicht um ein Nachfrageproblem. Deshalb liegen kurzfristige Massnahmen in der Verantwortung der einzelnen Unternehmen. Jedes Unternehmen muss für sich selber beurteilen, was adäquat ist. Bei der Frage, ob es Anpassungen bei der Arbeitstätigkeit von Mitarbeitenden braucht, hat der Bundesrat mit der Einführung der Kurzarbeit eine Sofortmassnahme ergriffen. Viele Betriebe versuchen über Anpassungen bei der Arbeitszeit grössere Flexibilität zu erlangen. Das bedingt aber Gespräche mit den Sozialpartnern, weil vielerorts GAVs in Kraft sind. Das Gleiche gilt für die Lohnfrage. Für uns hat die Sozialpartnerschaft eine grosse Bedeutung. Die Sozialpartnerschaft gehört zu den Standortvorteilen der Schweiz.

Welches sind aus Ihrer Sicht die Prioritäten bei der Bewältigung der Frankenstärke?

Kurzfristig müssen die Unternehmen selbst nach Lösungen zur Sicherung ihres Fortbestehens suchen. Das beinhaltet auch Gespräche mit den Sozialpartnern. Langfristig – und das ist der Fokus von economiesuissse – liegt die Priorität bei den Rahmenbedingungen. Es geht um die Frage, welche Massnahmen ergriffen werden müssen, um die heute im internationalen Vergleich guten Rahmenbedingungen in der Schweiz zu wahren. Ich denke hier beispielsweise an die laufende Aktienrechtsrevision, die schon wieder Verschärfungen bringen soll. Wir müssen jede neue Regulierung auf ihren Nutzen hin hinterfragen.

Welchen Stellenwert haben aus Ihrer Sicht die bilateralen Verträge mit der EU?

Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Beziehungen zur EU sind die bilateralen Verträge das Dossier schlechthin. Es muss auf jeden Fall gelingen, einerseits dem Volkswillen Rechnung zu tragen, was die Steuerung der Einwanderung betrifft, anderseits müssen die bilateralen Verträge gesichert werden. Auch die Initianten der Masseneinwanderungs-Initiative haben klar gesagt, dass die bilateralen Verträge aufrechterhalten werden sollen. Wir müssen alles Erdenkliche tun, damit dies gelingt.

Was spricht heute für den Wirtschaftsstandort Schweiz?

Sehr vieles. Spannend ist es, Leute zu fragen, weshalb sie sich für den Standort Schweiz entschieden haben. Da kommen Antworten wie Rechtssicherheit, finanzielle Stabilität, politische Stabilität – auch wenn wir selber bisweilen den gegenteiligen Eindruck haben mögen. Vielfach wird auch der Bildungs- und Innovationsstandort Schweiz erwähnt. Es gibt immer noch zahlreiche Gründe, weshalb wir der Meinung sind, der Wirtschaftsstandort Schweiz sei sehr attraktiv. Umso wichtiger ist es, alles zu unternehmen, damit diese Attraktivität auch morgen und übermorgen noch besteht.

Heinz Karrer: Die Schweiz ist das am besten vernetzte Land der Welt

Sie waren früher als Handballer Spitzensportler. Gehören die Erfahrungen im Sport zu den Ingredienzen für den späteren unternehmerischen Erfolg?

Ich denke schon, dass es hier Parallelen gibt. Unternehmerischer Erfolg fusst aus meiner Sicht auf Eigenverantwortung, Leistungswillen, Offenheit und unternehmerischen Freiheiten. Die Schweiz steht seit je für diese Werte. Entsprechend sind auch die Rahmenbedingungen, die Verfassung und die Gesetze ausgestaltet. Wir sind eine Exportnation und pflegten schon immer Handelsbeziehungen zu anderen Ländern. Zu den Eigenschaften oder Ingredienzen des unternehmerischen Erfolgs gehören auch unser duales Bildungssystem und die gute Infrastruktur. Es ist der Mix dieser Faktoren, der die Schweiz zum Erfolgsmodell macht.

Wie schätzen Sie den Stellenwert ein, den das Thema Altersvorsorge in einem reichen Land wie der Schweiz geniesst?

Die Altersvorsorge gehört zu den wichtigsten Themen überhaupt. Das Reformprojekt AVG 2020 ist ja unterwegs. Es muss gelingen, das in der Verfassung festgeschriebene Ziel eines finanziell gesicherten Alters in Würde zu erreichen. Auf dem Weg dazu bildet die demografische Veränderung die grosse Herausforderung.

Die Schweiz hat ein gut entwickeltes Altersvorsorgesystem, das mit den 3 Säulen die staatliche und private Vorsorge kombiniert. Die erste und die zweite Säule kämpfen aber mit Schwierigkeiten. Wird sich das 3-Säulen-System auch in Zukunft bewähren?

Unser 3-Säulen-System ist eminent wichtig. Wir müssen alles unternehmen, um dieses Modell zu erhalten. Heute haben wir bei der AHV eine einigermassen gute Situation, wissen aber, dass wir bald in grosse Finanzierungslücken laufen. Gemäss bundesrätlicher Schätzung werden bis zum Jahr 2030 jährlich gegen 9 Milliarden Franken fehlen. Bundesrat Berset hat eine nach unserem Dafürhalten gute Auslegeordnung gemacht und aufgezeigt, wie die Entwicklung sein könnte. Wir haben unsere Vorschläge in die Diskussion eingebracht und gehen davon aus, dass es eine schrittweise Verlängerung der Arbeitszeit geben wird. Ein erster Schritt wird die Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau sein. Auch um eine moderate Zusatzfinanzierung in Form einer Mehrwertsteuer-Erhöhung werden wir nicht herumkommen. Bei der zweiten Säule wissen wir, dass sich die Parameter verändert haben. Diesem Umstand ist Rechnung zu tragen. Insbesondere gilt es, den Umwandlungssatz anzupassen. Ziel ist der Erhalt des heutigen Rentenniveaus, darum sind moderate Kompensationsmassnahmen nötig. Gelingt dies, sind wir zuversichtlich, das 3-Säulen-Modell aufrechterhalten zu können.

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Die Pensionskassen stecken in stürmischen Zeiten, vor allem wegen der Überalterung und den tiefen Zinsen. Werden die PKs – und damit wir alle – Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen?

Bei den Leistungsversprechen muss man immer auch die Parameter mitberücksichtigen. Diese haben sich verändert. Deshalb ist es auch richtig und wichtig, über Anpassungen zu sprechen, insbesondere über den Umwandlungssatz. Es braucht auf der Ausgabenseite Anpassungen, aber wenn es notwendig wird, braucht es ein ausgewogenes Massnahmenpaket basierend auf demokratisch abgestützten Lösungen. Dies gilt es in den nächsten Monaten und Jahren im Parlament zu behandeln. Und dann wird die Bevölkerung über das ganze Thema entscheiden.

Im Rahmen der AVG 2020 wird der Kapitalbezug aus dem Altersguthaben für Wohneigentum oder für den Schritt in die Selbstständigkeit eingeschränkt. Entzieht der Staat mit diesem Eingriff den Versicherten das Vertrauen oder sehen Sie darin eine notwendige Regulierung?

Es liesse sich hinterfragen, ob es richtig war, dass der Staat Anreize schaffte, um Mittel der persönlichen Vorsorge in den Immobiliensektor zu leiten. Ich denke, es ist jetzt noch zu früh, um über einzelne Massnahmen zu diskutieren. Es geht vielmehr darum, die Herausforderung insgesamt zu sehen und zu akzeptieren. Im Vordergrund steht die Einsicht, schrittweise länger arbeiten zu müssen. Zudem braucht es Kompensationsmassnahmen sowie Zusatzfinanzierungen. Deshalb begrüssen wir die Auslegeordnung von Herrn Bundesrat Berset. Erst in einem zweiten Schritt geht es dann um die Frage, welche Pakete sich wie gestalten lassen, um nicht nur im Parlament, sondern auch in einer Volksabstimmung bestehen zu können. Wie haben ja bereits schlechte Erfahrungen gemacht und mit Revisionsvorhaben an der Urne Schiffbruch erlitten. Es geht in dieser Frage nicht nur um richtig oder falsch, sondern auch um etwas, das von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert werden muss.

Sollen aus Ihrer Sicht die Rentenbezüger an der Sanierung des Vorsorgesystems beteiligt werden – oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?

In den letzten 50 bis 60 Jahren haben wir grosse Veränderungen gesehen. Mitte des letzten Jahrhunderts kamen auf einen Rentner noch mehr als sechs Arbeitnehmer, heute sind es noch drei. In 20 bis 25 Jahren werden es pro Rentenbezüger noch zwei Arbeitstätige sein. Diese Entwicklung zeigt, wie gross die Herausforderung ist. Eine moderate Zusatzfinanzierung wird vermutlich notwendig sein. Erfolgt diese über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, partizipieren automatisch auch die Rentenbezieher daran. Sie würden so zur Stabilisierung des Vorsorgesystems beitragen. In dieser Form ist eine Beteiligung vertretbar. Sie sorgt für eine gewisse Ausgeglichenheit und scheint uns sinnvoll.

Zur Person
Heinz Karrer
Präsident des Vorstands von economiesuisse, Verband der Schweizer Unternehmen

Heinz Karrer, 1959, ehemaliger Spitzenhandballer, zweifacher Schweizer Meister mit St. Otmar St. Gallen und 53-facher Schweizer Internationaler, verbrachte die ersten zehn Jahre seiner beruflichen Karriere in der Sportartikelbranche. Von 1995 bis 1997 war Karrer Leiter von Ringier Schweiz und Mitglied in der Geschäftsleitung der Ringier AG. Von 1998 bis 2002 zeichnete er als Mitglied der Konzernleitung der Swisscom für die Division Marketing & Sales verantwortlich. Von 2002 bis Januar 2014 war er CEO der Axpo Holding. Karrer präsidiert seit dem 1. September 2013 den Wirtschaftsdachverband economiesuisse, seit April 2014 ist er Verwaltungsratspräsident des Reisekonzerns Kuoni. Zudem ist er Mitglied des Verwaltungsrats der Notenstein Privatbank und Mitglied des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank (SNB).

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