elipsLife Interview mit Urs Berger (SVV)
echo-interview, April 2016

Wir kämpfen mit technischen Argumenten gegen Emotionen an

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Wir kämpfen mit technischen Argumenten gegen Emotionen an

echo-Interview mit Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV

elipsLife echo: Herr Berger, Die Gründung des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV) geht aufs Jahr 1900 zurück. Eine bald 120-jährige Erfolgsgeschichte?

Urs Berger: Ja, wenn ich mir vor Augen führe, wie die Versicherer heute dastehen, kann man sicher von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Es braucht den Beitrag jeder einzelnen Gesellschaft, damit eine Branche florieren kann, aber auch der Verband muss seinen Teil dazu beitragen. Dem SVV ist es über die Jahre gelungen, einen gemeinsamen Auftritt der Versicherer zu organisieren und deren Interessen zu vertreten. Zudem ist der Anteil der Assekuranz an der Wertschöpfung im Finanzbereich in den letzten 15 Jahren von 30% auf 43% gestiegen – auch das unterstreicht die Erfolgsgeschichte der Branche.

Welches sind die Hauptaufgaben des Verbandes?

Die Aufgaben des SVV lassen sich in drei Hauptbereiche gliedern. Da sind zunächst einmal die Begleitung von Gesetzgebungsprozessen sowie das Erarbeiten einheitlicher Positionen in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen. Hier geht es um die Wahrung der Interessen der Versicherungsbranche gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung. Das ist Lobbying im weitesten Sinne, wir verwenden hierfür den Begriff Campaigning. Der zweite Bereich sind Dienstleistungen für unsere Mitgliedgesellschaften. Dabei handelt es sich etwa um Gebäudeschätzungen oder branchenübergreifende IT-Lösungen. Der dritte Bereich ist das Bildungswesen. Wir organisieren Bildung auf allen Ebenen, von der kaufmännischen Grundausbildung, über die höhere Berufsbildung bis hin zur Kader- und Executive-Ausbildung.

Können Sie uns ein Campaigning-Beispiel nennen?

Das Projekt Altersvorsorge 2020 ist eines. Bei den Reformen der 1. und 2. Säule vertreten wir die Interessen der Privatassekuranz. Dabei setzen wir uns nicht nur für unser weit über die Grenzen hinaus anerkanntes 3-Säulen-System ein, sondern auch für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Versicherungsbranche im Interesse der Versicherten. Das Versicherungsgeschäft muss weiterhin nach wirtschaftlichen Kriterien betrieben werden können, damit wir in der Lage sind, Garantien abzugeben. Viele technische Parameter sind heute politisch bestimmt. So ist der Umwandlungssatz eigentlich eine technische Grösse, die logischen, mathematischen Parametern folgen sollte. Heute herrscht aber die Wahrnehmung vor, dass mit einer Senkung des Umwandlungssatzes den Versicherten etwas weggenommen wird. In diesen Fragen wird nicht technisch, sondern emotional argumentiert. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Diskussion auf Fakten stützt und die technischen Parameter zum Tragen kommen.

echo-Interview mit Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV

Wie repräsentativ vertritt der SVV die Gesamtheit der Privatassekuranz?

Der SVV hat rund 80 Mitgliedgesellschaften, die etwa 90% des Prämienvolumens der über 200 in der Schweiz tätigen Versicherungsgesellschaften generieren. Mit diesem Prämienanteil repräsentiert der Verband den Markt sehr gut.

Welches sind derzeit die grössten Herausforderungen für den SVV?

Im Vordergrund steht sicher die Regulierung bzw. die Überregulierung. Darunter verstehen wir das starke Eingreifen in unsere Businesspläne und Geschäftstätigkeiten, nicht nur durch die Finma als Aufsichtsbehörde, sondern durch alle Gesetzgebungen, die uns immer neue Schranken auferlegen. Das behindert die Innovation zu Gunsten unserer Kundinnen und Kunden. Weitere Themen sind die Digitalisierung, die unsere Wertschöpfungskette aufbrechen wird, der demographische Wandel und der Finanzmarkt mit den rekordtiefen Zinsen. Wenn für die berufliche Vorsorge der dritte Beitragszahler im System ausfällt, führt das in Kombination mit einem hohen Umwandlungssatz und dem politisch vorgegebenen Mindestzinssatz zu einer schwierigen Situation für unsere Lebensversicherer. Ferner ist unser Verhältnis zur EU belastet: Mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative befürchten wir einen Fachkräftemangel. Schliesslich entstehen durch die klimatischen Veränderungen neue Risiken. Die Auswirkungen auf Permafrost, Hitze- und Kälteperioden sowie Stürme betreffen uns als Elementarschadenversicherer direkt.

Wie interpretieren Sie persönlich Ihre Rolle als SVV-Präsident?

Das ist eine Führungsaufgabe. Im Vorstand diskutieren wir die wichtigen Themen, setzen Prioritäten, legen Stossrichtung und Strategien fest und erarbeiten die nötigen Grundlagen. Es ist meine Aufgabe sicherzustellen, dass der Verband gegenüber der Politik geeint auftritt. Es wäre fatal, wenn ich als Verbandsvertreter eine Meinung äussere, während einzelne Versicherungsgesellschaften unterschiedliche Standpunkte kundtun. Nur wenn wir als Branche mit einer Stimme sprechen, haben wir das nötige Gewicht, um von unserem Gegenüber verstanden zu werden.

elipsLife-Interview mit Urs Berger

Wie ist die Zusammenarbeit des SVV mit dem europäischen Versicherungsverband in Brüssel?

Da die Schweiz nicht in der EU ist, haben wir als Mitglied von Insurance Europe eine besondere Position. Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Beim europäischen Versicherungsverband spielen wir eine wichtige Rolle, wir haben bislang zwei Mal den Präsidenten gestellt. Wir sind Beobachter und erhalten die Gelegenheit zu verstehen, welche Lösungen die EU erarbeitet und wohin sie sich in Versicherungsfragen entwickelt. Weil in diesen Gremien unterschiedliche Meinungen zusammenkommen, können wir lernen. Gleichzeitig sehen wir die Unterschiede zur Schweiz. Wir konnten unter anderem feststellen, wie enorm der Swiss Finish beim Swiss Solvency Test in der Lebensversicherung gegenüber Solvency II ins Gewicht fällt, weil viel höhere Kapitalanforderungen und eine striktere Handhabung bei weniger Flexibilität verlangt werden.

Führen diese erhöhten Kapitalanforderungen nicht zu Wettbewerbsnachteilen?

Ganz klar, ein Schweizer Lebensversicherer, der in der Schweiz und in Deutschland tätig ist, muss in Deutschland sein Risikokapital nach Solvency II definieren, in der Schweiz nach SST. Als Schweizer Gesellschaft muss er für die Schweizer Aufsichtsbehörde die Kapitalanforderungen für sein ganzes Geschäft, inklusive Deutschlandgeschäft, nach SST erfüllen. Das heisst, der Schweizer Lebensversicherer muss 1,5 bis 2 Mal so viel Kapital für das Deutschlandgeschäft bereitstellen wie deutsche Konkurrenten, die nach Solvency II rechnen können.

Die Regulatoren in Brüssel und anderswo verlangen immer stärkere Transparenz. Ein Problem für die Assekuranz?

Wir unterstützen die Bestrebungen nach mehr Transparenz. Der Kunde will und muss wissen, woran er ist. In dieser Frage haben wir ein gutes Niveau erreicht. Eine im Oktober 2015 erschienene Studie der Universität St. Gallen über Konsumentenschutz in der Versicherungsbranche attestiert uns, dass das Schutzniveau für die Versicherungskunden im Branchenvergleich hoch ist, aber die Kundeninformation einfacher und verständlicher sein sollte. Diesen Punkt nehmen wir ernst.

Mit FinTech hat die Digitalisierung der Arbeitswelt auch die Versicherungswelt erreicht. Welches sind die konkreten Folgen?

Neue Konkurrenten fordern heute die etablierten Versicherer heraus. Bucht jemand beispielsweise über das Internet eine Reise, kann ihm neu eine Reiseversicherung über Google, Yahoo oder einen anderen Anbieter offeriert werden. Der digitale Weg schafft Grenzen ab und eröffnet neue Vertriebsmöglichkeiten. Mit dieser Entwicklung müssen wir uns auseinandersetzen. Ein anderer Aspekt der Digitalisierung ist der Umgang mit Daten. Cyber-Risiken sind real und setzen gerade bei der Assekuranz einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten voraus.

Solvency II bzw. der Swiss Solvency Test führen zu einer Verteuerung der Versicherungsdeckungen. Machen sie diese für Konsumenten auch sicherer?

Diese Solvenz-Regimes machen Deckungen sicherer, weil genauer überwacht wird, wie eine Versicherung kapitalisiert ist und wie sich die Solvenz nach grossen Schadenfällen darstellt. Der Swiss Solvency Test SST und Solvency II machen so das System stabiler, auch wenn keine Risiken aus dem System genommen werden. Allerdings glaube ich nicht, dass der Kunde in seiner Versicherungspolice direkt etwas davon merkt.

Urs Berger über die grössten Herausforderungen des SVV

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen bei der beruflichen Vorsorge?

Ich sehe drei Punkte: erstens, die demographische Entwicklung. Weil wir länger leben, müssen die Renten länger ausbezahlt werden. Zweitens das Tiefzinsumfeld, das zum Ausfall des dritten Beitragszahlers im System führt. Und drittens die technischen Parameter wie der zu hohe Umwandlungssatz oder die Mindestverzinsung von derzeit 1,25%. Da kämpft der SVV für die Entpolitisierung der technischen Parameter.

Um die Reform Altersvorsorge 2020 zu verstehen, muss man sich damit auseinandersetzen, es braucht Kommunikation. Wie unterstützt der SVV die einzelnen Unternehmen dabei?

Der SVV ist bereits aktiv, wir kommunizieren auf verschiedenen Wegen. Wir erarbeiten im Verband Stellungnahmen und Inhalte. Unsere Mitglieder erhalten regelmässig Medienspiegel zum Thema und wir betreiben Wissensaufbau bei den Medien selbst, indem wir nicht nur mit ihnen sprechen, sondern Filme, Factsheets und Positionspapiere liefern. Zwei Mal im Jahr führen wir zudem Info-Veranstaltungen für alle CEOs und Präsidenten unserer Mitgliedgesellschaften zu verschiedensten Themen durch, auch zur Reform Altersvorsorge 2020. Schliesslich nehmen wir das Thema in Versicherungszeitschriften und in Beiträgen auf unserer Homepage auf. Offen ist, ob das genügt.

Sollen aus Ihrer Sicht die Rentenbezüger an der Sanierung des Vorsorgesystems beteiligt werden – oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?

Wir setzen uns bei der Reform Altersvorsorge 2020 für die finanzielle Sicherung des Systems bei gleichbleibenden Leistungen ein – also ohne Rentenkürzungen. Das mag nach der Quadratur des Kreises klingen, doch zur Sicherung und Sanierung des Vorsorgesystems sind viele Massnahmen denkbar. Leute können länger arbeiten oder das freiwillige Ansparen zusätzlichen Altersguthabens kann erweitert werden. Da ist noch Vieles nicht ausgeschöpft. Bei einer Anpassung des Umwandlungssatzes sinken zwar die Renten, das Leistungspaket als Ganzes darf indessen nicht sinken. Wir wollen nicht bei den Bezügern die Leistungen kürzen. Versprechen sind zu halten. Soweit die Mehrwertsteuer zur Sanierung der Altersvorsorge erhöht wird, sind aber auch die Rentner beteiligt.

Urs Berger SVV im Interview bei der elipsLife

Die Vollversicherung ist eine Variante in der beruflichen Vorsorge, bei der das Risiko der Kapitalanlagen voll beim Lebensversicherer liegt. Haben Vollversicherungen angesichts von Tiefzinsen und demographischer Veränderungen langfristig eine Chance?

Ja, die Vollversicherung hat deshalb eine Chance, weil sie für KMU sämtliche Risiken der beruflichen Vorsorge übernimmt, wenn die KMU diese nicht selber tragen wollen oder können. Die Vollversicherung garantiert jederzeit 100% Leistung. Das ist je länger je mehr eine Herausforderung im anspruchsvollen Tiefzinsumfeld. Die Nachfrage nach der Vollversicherung nimmt immer noch zu, fast die Hälfte der KMU bevorzugt diese Lösung. Aber da schliesst sich der Kreis: Die bereits erwähnten technischen Parameter müssen ein realistisches Geschäftsmodell zulassen, weil sonst die Vollversicherung eines Tages nicht mehr angeboten werden kann.

Der Satz „Wenn ich ins Rentenalter komme, werde ich weder von der AHV noch von meiner PK Geld sehen“, ist oft zu hören. Wie kann das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Vorsorgesysteme gestärkt werden?

Aus meiner Sicht hat das auf zwei Ebenen zu erfolgen: Einerseits müssen die technischen Parameter an die veränderten demographischen Gegebenheiten angepasst werden. Es führt kein Weg daran vorbei, das System zu stabilisieren. Anderseits gilt es, die Kommunikation zu verbessern. Die Leute müssen das System der Altersvorsorge verstehen und sehen, wo die Probleme und Lösungsansätze liegen. In dieser Beziehung hat man bislang zu wenig gemacht. Es reicht nicht, kurz vor einer Abstimmung mit der breiten Bevölkerung zu kommunizieren, es braucht eine kontinuierliche Aufklärungskommunikation. Eine besondere Herausforderung ist unsere Ausgangslage als Anbieter in der beruflichen Vorsorge: Bei Diskussionen um die Sanierung der zweiten Säule kommen wir mit Umwandlungssatz und Mindestzins, die politische Gegenseite argumentiert mit «Rentenklau». Wir kämpfen also mit technischen Argumenten gegen Emotionen an. Da haben wir einen schweren Stand.

Zur Person
Urs Berger
Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV

Urs Berger (1951) studierte an der Hochschule St. Gallen Ökonomie. Von 1981 bis 1993 war er bei der Zürich Versicherung tätig. Danach wechselte er zur Basler Versicherung und wurde 1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung Schweiz sowie Mitglied der Konzernleitung. 2003 trat er als CEO in die Mobiliar ein. Ende Mai 2011 gab er seine Tätigkeit als CEO ab und amtet seither als Verwaltungsratspräsident. Zudem ist er seit 2011 Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes und in weiteren Verwaltungsräten engagiert. Urs Berger wohnt in Therwil, ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

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