Hat die AHV bislang nur dank der Migration, also dank des Zuzugs neuer Beitragszahler, so gut überlebt?
Die Grundlage des Erfolgs der AHV ist die gut funktionierende Wirtschaft. Läuft die Wirtschaft rund, haben viele Leute Arbeit. Und weil alle Arbeitnehmenden AHV-Beiträge bezahlen, verzeichnen wir durch eine steigende Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, von jungen Secondos oder auch von über 65-jährigen Personen ständig höhere Beitragszahlungen. Die Schweiz ist ein Job-Wunder – und damit die Wirtschaft gut läuft, braucht sie Fach- und Hilfskräfte, die sie auch aus dem Ausland holt. Die gut funktionierende Wirtschaft konnte bis anhin die demografische Belastung bei einem konstanten Beitragssatz abfedern. Würde nun aber die Wirtschaft kollabieren – steigende Arbeitslosigkeit, Exodus ausländischer Fachkräfte, Lohndumping etc. – , würde die AHV in einen doppelten Abgrund gerissen: Erstens würden die Beiträge einbrechen, zweitens käme die belastende demografische Entwicklung viel stärker zum Tragen.
Also ist die Sozialversicherung von der Wirtschaft abhängig?
Ja, massiv! Wirtschaft und Sozialversicherung stehen in einer engen, wechselseitigen Beziehung. Es ist die Aufgabe der Sozialversicherung, einer hochdynamischen Gesellschaft und einer leistungsfähigen Wirtschaft die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg zu bieten. Wirtschaft und Sozialversicherung lassen sich nicht mehr trennen. Würden alle Ausgleichskassen, Pensionskassen, Krankenkassen, Unfallversicherungskassen und Arbeitslosenversicherungskassen keine Zahlungen mehr tätigen, wäre die Schweiz innert eines Monats lahm gelegt.
Um den verschiedenen Herausforderungen zu begegnen, gibt es bekanntlich viele Ansätze. Was geschieht, wenn die Politik allgemein Leistungskürzungen bei der AHV beschliesst?
Will die Politik Leistungskürzungen in der AHV beschliessen, läuft dies formal über eine Änderung des AHV-Gesetzes, was dem fakultativen Referendum unterliegt. Es steht ausser Frage, dass ein solches ergriffen und die Leistungskürzung in der Abstimmung abgeschmettert würde. Politisch ist eine Leistungskürzung chancenlos. Die Leute wollen Sicherheit. Möglich ist einzig die gezielte Kürzung von heute unnötigen Leistungen, z.B. der hohen Zusatzrenten an AHV-Rentner für ihre Kinder.
Welche Rolle spielen die Ergänzungsleistungen im Vorsorgesystem?
Die Ergänzungsleistungen zu AHV und IV (EL) wurden 1966 eingeführt. Sie bilden eine Grundsicherung nach unten und sollen die Existenz aller Rentner sicherstellen. Sie schliessen die Lücke, wenn Rentner aufgrund der Leistungen aller anderen Sozialversicherungen ein definiertes Einkommensminimum nicht erreichen. So garantiert z.B. der Kanton Schwyz aktuell 37‘230 Franken als Minimum für einen AHV-Rentner. Obwohl über die Jahre die AHV und die 2. Säule stetig ausgebaut wurden, sind die aktuellen Ausgaben für die EL erschreckend hoch. Mit rund 5 Milliarden Franken entsprechen sie ungefähr dem Verteidigungsbudget der Schweiz – Tendenz steigend.
Wie konnte es angesichts des gut ausgebauten 3-Säulen-Systems dazu kommen?
Die Ausgabenexplosion bei den EL hat verschiedene Gründe wie Langlebigkeit, höhere Pflegetaxen, politisch gewollter Leistungsausbau oder die hohe Privilegierung von Vermögen. So ist es im Kanton Schwyz möglich, mit einem steuerbaren Vermögen von 1 Million Franken noch EL zu beziehen, wenn denn das ausgewiesene Einkommen genügend tief ist. Eine wichtige Ursache ist in der 2. Säule auch der verbreitete Kapitalbezug anstelle einer Rente. Wir haben festgestellt, dass 2015 im Kanton Schwyz 44% aller Ergänzungsleistungsbezüger zuvor aus der 2. Säule Kapital bezogen hatten. Schweizweit waren es übrigens gut 33%.
Kann nicht jede Person mit ihrem Geld machen, was sie will?
Grundsätzlich ja, allerdings wurde die 2. Säule geschaffen, um langfristig einen gesicherten Ruhestand zu ermöglichen. Für diesen Zweck beteiligt sich der Arbeitgeber obligatorisch an den Beiträgen und verzichtet ebenfalls obligatorisch der Staat über die reduzierte Steuerbelastung auf Einnahmen. Wird dann das Kapital aber bezogen und nicht zur Existenzsicherung, sondern zum Beispiel für einen luxuriösen Lebensstil verbraucht, verpufft der gewünschte Effekt. Der Vorsorgezweck wird nicht erfüllt. Kapitalbezüge aus der 2. Säule ritzen aus meiner Sicht klar die Bundesverfassung.
Was kann man gegen die Kostenexplosion bei den Ergänzungsleistungen konkret tun?
In der nächsten Revision zum Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen muss das Parlament über allfällige Einschränkungen entscheiden. Sinnvoll ist eine Verengung des Zugangs zu den EL und nicht ein blosses Sparen bei den Eckwerten.