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echo-Interview, Januar 2020

Bei der Reform der Altersvorsorge nicht in eine Abwehrhaltung verfallen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

echo-Interview mit Daniel Leupi

Daniel Leupi, Stadtrat von Zürich, Finanzvorstand und Stiftungsratspräsident der Pensionskasse Stadt Zürich

elipsLife echo: Der Bundesrat hat Ende August eine AHV-Reformvorlage verabschiedet. Die Linke ist gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen, den Bürgerlichen fehlen Lösungen für die strukturellen Probleme der AHV. Wie sehen Sie den Vorschlag?
Daniel Leupi: Ganz allgemein – die Sicherung der Altersvorsorge ist für mich eine der grössten politischen Herausforderungen der nächsten Jahre, neben dem Klimawandel, der Regelung unseres Verhältnisses zu Europa und der Gewährleistung einer offenen und sozialen Gesellschaft.
 
Mit den Details des Vorschlags habe ich mich noch nicht beschäftigt. Bezüglich Rentenalter gehe ich tendenziell von einer Erhöhung aus. Die Beitragssätze der AHV lassen sich nicht beliebig erhöhen. Die Leute leben länger und solange auf der Ertragsseite wegen der tiefen Zinsen kaum Einnahmen kommen, bleibt praktisch keine andere Lösung. Ein Anstieg des Rentenalters muss allerdings sozial abgefedert sein. Worauf sich die Leute im Hinblick auf ihr Leben im Alter während mehr als 30 Jahren eingestellt haben, lässt sich nicht in kurzer Zeit anpassen. Wer noch die Chance hat, sich auf die Erhöhung des Rentenalters einzustellen, dem muss diese Möglichkeit geboten werden. Für jene aber, die kurz vor dem Ruhestand stehen und deshalb nicht mehr reagieren können, braucht es einen Ausgleich. In einem reichen Land wie der Schweiz dürfen durch die Verschiebung keine sozialen Härtefälle entstehen. 

Sie sind also für eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre?
Ja, wenn auch über die Erhöhung des Männeralters diskutiert werden muss. So oder so ist für mich ein sozialer oder finanzieller Ausgleich für Frauen zwingend. Alle Bereiche, in denen die Frauen noch immer benachteiligt sind, müssten in diesem Zusammenhang angesprochen werden. In der Stadt Zürich haben wir zum Beispiel bei Lohnvergleichen mit 0,6% nur eine sehr geringe, nicht erklärbare Lohndifferenz zwischen Mann und Frau festgestellt. Da ist die öffentliche Hand sicher bessergestellt als Teile der Privatwirtschaft, die gefordert sind.

Was steht für Sie bei der AHV-Reform im Vordergrund?
Der zentrale Punkt ist die Tragbarkeit. Ich sehe das auch bei der Finanzpolitik in Zürich. Man muss die Systeme mittel- und langfristig im Gleichgewicht halten, damit die Bürger das Vertrauen in die zentralen Funktionen des Staates nicht verlieren. Das gilt ganz besonders für die Altersvorsorge. In der Schweiz gibt es bei der Vermögens- und Einkommensverteilung riesige Differenzen. Deshalb sind sozialer Ausgleich und sicheres Alter wichtige Forderungen. 

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Die Schweiz setzt bislang auf das 3-Säulen-System. Wie stehen Sie zu diesem System?  
Ich würde das System nicht auf den Kopf stellen. Es gibt keinen Anlass dazu, weil es sich grundsätzlich bewährt hat. Gleichzeitig darf man aber bei der Reform-Diskussion nicht in eine Abwehrhaltung verfallen, denn unser Rentensystem ist im Moment extrem herausgefordert: Die Lebenserwartung ist gestiegen, das Verhältnis Leistungserbringer zu Leistungsbezüger hat sich massiv negativ verändert und wir haben das Problem der sehr tiefen Renditen. 

Wie hoch wird das Rentenalter sein, wenn Sie in Pension gehen?
In elf Jahren werde ich das heutige Pensionsalter erreicht haben. Angesichts der Geschwindigkeit unseres politischen Systems wird das Rentenalter dann noch nicht bei 70 sein. Ob es aber bei 67 sein wird, weiss ich nicht. Auf jeden Fall wird es früher oder später steigen. Nötig sind klare Unterscheidungen: Büro-Jobs lassen sich nicht gleich wie Bauleute oder Schichtarbeitende behandeln. Wird das Rentenalter erhöht, müssen für die unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche, sozialverträgliche Lösungen angestrebt werden. Das ist für mich unabdingbar. 

Ist ein Abbau der Rentenniveaus auf die Dauer nicht unerlässlich?
Was erreichen wir damit? Wer mit der Rente ins Ausland geht, kann auch mit einer reduzierten Rente immer noch gut leben. Doch auch in den klassischen Auswanderungsländern für Rentner ziehen die Preise an. In unserem Land aber steigen gewisse Haushaltskosten dauernd: Krankenkassenprämien oder die Mieten beispielsweise. Die Schweiz hat sich als Land mit einer sehr hohen Wertschöpfung positioniert. Das führt zu hohen Lebenshaltungskosten und deshalb muss auch das Rentenniveau hoch sein. Sonst laufen wir Gefahr, zu einer Zweiklassen-gesellschaft zu werden: Jene, die Kapital anhäufen konnten und jene, denen das nicht gelang. Gerade Letztere brauchen Sicherheit im Alter. Dies ist eine Errungenschaft, die wir nicht aufgeben dürfen. 

Sie sind Stiftungsratspräsident der Pensionskasse Stadt Zürich (PKZH): Wie geht es Ihrer Kasse?
Die Pensionskasse Stadt Zürich steht gut da. Dabei ist zu beachten, dass wir permanent Rückstellungen bilden, um Umwandlungssatz-Reduktionen zu finanzieren. Mit knapp 10% Performance bis jetzt können wir von einem sehr guten Anlagejahr 2019 sprechen. Wir haben aktuell einen sehr hohen Deckungsgrad von rund 118%. Auf Ende Jahr senken wir jedoch den technischen Zinssatz, mit dem die Rentenkapitalien ermittelt werden, von 2.5% auf 2%. Dadurch reduziert sich der Deckungsgrad um rund 3 Prozentpunkte. Auf Ende 2019 rechnen wir deshalb mit einem Deckungsgrad von 115%. Die PKZH zählt aktuell rund 34'000 aktiv Versicherte und rund 19'000 PK-Berechtigte. 

 

 

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Als Grüner dürfte Ihnen die Anlagestrategie Ihrer Kasse besonders am Herzen liegen, oder?
Bei der PKZH ist die Frage nachhaltiger Anlagen ein Dauerthema. Wir sind nicht die ersten und glücklicherweise nicht die einzigen, die diesen Weg beschreiten, aber wir verfolgen ihn schon lange. Und mit der 2018 verabschiedeten Klimastrategie übernimmt die PKZH in diesem Thema eine Vorreiterrolle. Auch das Gemeindeparlament hat hohe Erwartungen und will ständig wissen, wo wir die Mittel anlegen. Ich bin froh, dass wir mit unseren Beschlüssen im neusten WWF-Rating weit oben gelandet sind. Es ist ein weiterer Beweis für uns als PKZH, dass wir nicht einfach warten, bis man handeln muss, sondern Herausforderungen vorausschauend angehen. Auch Jörg Gasser, der neue Chef der Schweizerischen Bankiervereinigung, hat aufgezeigt, dass längerfristig nur nachhaltige, CO2-freie Geschäftsmodelle eine Zukunft haben. Diese Erkenntnis muss der ganzen PK-Szene den Weg weisen. 

Arbeitgeberverband und Gewerkschaften haben einen Vorschlag zur Sanierung der 2. Säule vorgelegt, der unter anderem einen über Lohnprozente finanzierten Rentenzuschlag vorsieht. Der richtige Weg?
Das werden wir im Detail diskutieren, wenn wir im ersten Quartal die Vorschläge der Sozialpartner genau anschauen. Weil die PKZH eine umhüllende Kasse ist, erachtet die Geschäftsleitung der PKZH die 200 Franken-Zulage aber als problematisch. Mit dieser Zulage will man die Reduktion des Umwandlungssatzes von 6.8 % auf 6.0 % kompensieren. Die PKZH hat ihren Umwandlungssatz ab 2020 bereits von 5.69 % auf 5.14 % herabgesetzt, mit praktisch vollständigen Kompensationsmassnahmen. Für die PKZH könnte ein solcher Rentenzuschlag zu einer Überversicherung führen, die zudem auch die Sozialpartner finanziell unnötig belastet. Die Arbeitgeberin Stadt müsste 6 Millionen Franken pro Jahr aufbringen, die städtischen Versicherten 4 Millionen Franken. Aus Sicht PKZH würde ich eine solche Rentenzulage zudem auch nicht zwingend als sozial bezeichnen, da jüngere Versicherte zusätzliche Beiträge an die Renten der älteren Versicherten zahlen müssten.

Obschon der Reformbedarf von niemandem bestritten wird, gehen die Pensionskassen bei politischen Auseinandersetzungen regelmässig auf Tauchstation. Warum mischen sich die Kassen nicht vermehrt in den öffentlichen Dialog ein?
Die Antwort liegt in der Parität. Stiftungsräte segnen die Positionen der Pensionskassen ab. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind dort zu je 50% vertreten. Da bei Fragestellungen die jeweilige politische Haltung zum Tragen kommt, ist es schwierig, die Haltungen der Pensionskassen über einen Leist zu schlagen. Ist man sich bei der Zielsetzung oft noch einig, können die Meinungen bei der Frage, wie diese Ziele zu erreichen sind, weit auseinandergehen. Bei einer Einrichtung wie der PKZH spricht die Politik stark mit, in einer Firmen-PK weniger. Da die verschiedenen Pensionskassen unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben, können sie deshalb gar nicht mit einer Stimme an die Öffentlichkeit treten. 

Sind Rentenbezüger an der Sanierung der 2. Säule zu beteiligen oder sind erworbene Rentenansprüche tabu?
In der Stadt Zürich wären die bestehenden Renten in einer Sanierungsphase sicher tabu. Sollte man aber wirklich über Jahre permanent sanieren müssen und würden die Aktiven dadurch stark unter Druck kommen, müsste das Thema auf den Tisch kommen. In einer solchen Krisensituation sind wir heute aber nicht. 

Sollte die 3. Säule vom Staat gefördert werden, um die 1. und 2. Säule zu entlasten?
Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung macht tatsächlich von der 3. Säule Gebrauch. Wer finanziell am Limit ist, kann kaum Mittel dafür ansparen. Wer dagegen Geld hat, findet genügend Wege, diese Mittel anzulegen und so zu sparen. Deshalb ist eine weitere Förderung der 3. Säule für mich keine Antwort auf das soziale Problem. 

 

 

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Zur Person
Daniel Leupi
Stadtrat von Zürich, Finanzvorstand und Stiftungsratspräsident der Pensionskasse Stadt Zürich

Daniel Leupi (Grüne), geboren 1965, wurde 2010 in den Zürcher Stadtrat gewählt und ist seit 2013 Vorsteher des Finanzdepartements. Von 2010 bis 2013 stand er dem Sicherheitsdepartement vor. In seiner Funktion als Finanzvorstand ist Leupi Präsident der Pensionskasse Stadt Zürich. In der Konferenz der städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren, die sich in der Finanz- und Steuerpolitik für die Anliegen der Städte bei Bund und Kantonen einsetzt, amtet er als Vizepräsident. Leupi sass von 2002 bis 2010 im Zürcher Gemeinderat, von 2006 bis 2009 als Fraktionspräsident der Grünen. Er hat in Bern Volkswirtschaft studiert, war Mitinhaber des Velobüros Olten und Geschäftsführer der autofreien Erlebnistage slowUp. Er ist verheiratet und wohnt in Zürich.

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