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echo-Interview, Mai 2021

Zu hohe Garantien sind für Pensionskassen ein Problem

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS WIRTSCHAFT UND POLITIK

echo-Interview mit Vera Kupper Staub

echo-Interview mit Vera Kupper Staub, Präsidentin Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)

elipsLife echo: Frau Kupper Staub, oberstes Ziel der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) ist die Festigung des Vertrauens in die berufliche Vorsorge. Dieses Vertrauen scheint zumindest angeschlagen. Oder warum sonst steht die Altersvorsorge seit langem weit oben auf dem Sorgenbarometer von Herrn und Frau Schweizer?
Vera Kupper Staub: Die Finanzierungsschwierigkeiten der AHV sind in der Bevölkerung sicher präsenter als die Probleme der 2. Säule. Gleichwohl, auch die 2. Säule schürt Ängste, insbesondere weil der im Gesetz festgehaltene Umwandlungssatz heute dringend gesenkt werden muss. Ein anderes Bild zeigen hingegen die Umfragen von PKs bei ihren Versicherten: Das Vertrauen in die eigene Pensionskasse hat nicht gelitten. Offensichtlich unterscheiden die Menschen zwischen dem allgemeinen Thema Altersvorsorge und der eigenen Pensionskasse. 

Die OAK BV wurde per 1.1.2012 gegründet, mehr als 25 Jahre nach Einführung der beruflichen Vorsorge in der Schweiz. Waren Unregelmässigkeiten im Umgang mit Vorsorgegeldern der Grund für die Schaffung der OAK BV?
Das BVG als Gesetz für die Pensionskassen ist ein eidgenössisches Gesetz. Die Aufsicht über die Pensionskassen ist jedoch kantonal geregelt. Viele Unternehmen sind mit ihren PKs schweizweit tätig, wodurch es oft fast zufällig ist, welcher kantonalen Aufsicht sie unterstellt sind. Mittlerweile haben sich viele Kantone zusammengetan, sodass wir heute insgesamt acht Aufsichtsregionen haben. Diese Aufsichtsbehörden konnten sich aber in gewissen Punkten, beispielsweise bei der Abwicklung von Teilliquidationen, nicht einigen. Die Gründung der OAK BV geht somit nicht auf Unregelmässigkeiten im Umgang mit Vorsorgegeldern zurück, sondern auf den Wunsch nach einer einheitlichen Anwendung der gesetzlichen Grundlagen. 

Wie würden Sie die Aufgaben der OAK BV umschreiben?
Die OAK BV hat drei Aufgabenbereiche: Erstens sind wir die Aufsichtsbehörde über die acht regionalen Aufsichtsbehörden und sorgen dafür, dass diese ihre Aufgaben materiell einheitlich ausführen. Zweitens sind wir Zulassungsbehörde für die versicherungstechnischen Experten der Pensionskassen. Gegenüber diesen sind wir weisungsberechtigt, genauso wie gegenüber den Revisionsstellen. Der dritte Aufgabenbereich umfasst die Direktaufsicht über die Anlagestiftungen, über den Sicherheitsfonds sowie über die Auffangeinrichtung, also jene Pensionskasse, die Arbeitgeber mit ihren Versicherten aufnimmt, die in keiner anderen PK Platz finden.

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Ihre Kommission soll schweizweit eine einheitliche Aufsichtspraxis sicherstellen. Wie machen Sie das?
Einerseits unterhalten wir einen regelmässigen Austausch mit den regionalen Aufsichtsbehörden zu aktuellen Aufsichtsthemen. Andererseits erlassen wir Weisungen und Mitteilungen an die Aufsichtsbehörden, versicherungstechnischen Experten und Revisionsstellen, wenn es zu bestimmten Themen Unklarheiten gibt.

Sind Sie zufrieden mit der Arbeit der acht regionalen Direktaufsichtsbehörden – oder gibt es Baustellen?
Als die OAK BV im Jahr 2012 eingeführt wurde, hielt sich die Begeisterung bei den regionalen Aufsichtsbehörden in Grenzen. Niemand ist begeistert, wenn ein neuer Akteur die Bühne betritt und den Bisherigen sagt, wie sie ihre Arbeit verrichten sollen. Pensionskassen gibt es in der Schweiz seit mehr als hundert Jahren, entsprechend lange werden sie auch schon beaufsichtigt. Die Aufsichtsbehörden verfügten bereits vor 2012 über grosse Erfahrung und etablierte Prozesse. Als die OAK BV ins Spiel kam, musste man sich zuerst kennenlernen. Heute arbeiten wir konstruktiv zusammen. 

Über welche Mittel verfügt die OAK BV, um gegen schwarze Schafe unter den Pensionskassen vorzugehen?
Gegen die einzelnen schwarzen Schafe geht nicht die OAK BV vor, sondern die zuständige regionale Aufsichtsbehörde – soweit ihnen das der gesetzliche Rahmen zulässt. Diese verfügen über aufsichtsrechtliche Instrumente. Die Massnahmen können bis zur Absetzung des Stiftungsrates gehen. Die OAK BV hat mit den einzelnen Fällen aber nichts zu tun. 

Die OAK BV hat den Auftrag, konsequent für die Verbesserung der Systemsicherheit zu sorgen. Demografische Entwicklung, Zinsumfeld und der Reformstau in der Politik weisen aber in die entgegengesetzte Richtung. Wo sehen Sie die grössten Risiken für die Entwicklung der Pensionskassen?
Pensionskassen sind im Kapitaldeckungssystem finanziert: Sie finanzieren Renten, indem sie die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber anlegen und die Renten daraus samt erwirtschaftetem Ertrag finanzieren. In einem Umfeld negativer Zinsen ist dies herausfordernd. Zudem haben wir in der Schweiz mit dem gesetzlich fixierten Umwandlungssatz garantierte Leistungen. Der fixe Umwandlungssatz ist aus einer Perspektive angedacht, in der Zinsniveau und Lebenserwartung einigermassen konstant bleiben. Die letzten 30 Jahre haben aber gezeigt, dass sich dieses Umfeld deutlich verändert hat. 

Die Pensionskassen konnten mit den Veränderungen bislang relativ gut umgehen, weil der fixe Umwandlungssatz nur für den obligatorischen Teil der PK-Gelder gilt. Im Schnitt beträgt dieser Teil aber nur rund 40% der Gelder eines Versicherten, 60% sind im Überobligatorium. Das verschaffte den PKs Flexibilität, und entsprechend liegen die durchschnittlichen Umwandlungssätze heute viel tiefer als die gesetzlich verankerten 6,8%, im Schnitt unter 5,5%. Um das Leistungsniveau möglichst stabil zu halten, mussten dafür die Beiträge erhöht werden. Die Manövriermasse des überobligatorischen Bereichs erlaubte es den PKs, sich dem ändernden Umfeld anzupassen. Aber je länger diese Situation anhält, desto enger wird der Spielraum. 

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Im Rahmen der AHV-Revision hat der Ständerat der Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre zugestimmt. Wie stehen Sie persönlich dazu?
Für mich ist klar, das Rentenalter muss steigen, auch für Frauen. Seit der Einführung des Pensionskassenobligatoriums 1985 ist die Lebenserwartung in der Schweiz um rund 5 Jahre gestiegen. Ein Pensionär bezieht heute im Schnitt 20 Jahre lang eine Rente, also 33% länger als bei der Einführung berechnet. Hier braucht es Anpassungen. 

Der Bundesrat will auch das BVG reformieren und hierzu den Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0% senken. Die entstehenden Rentenausfälle sollen über einen via Lohnprozente finanzierten Rentenzuschlag kompensiert werden. Der richtige Ansatz?
Es ist systemfremd, im Kapitaldeckungssystem der 2. Säule ein Umlagesystem à la 1. Säule einzuführen. Das ist nicht im Geiste des Erfinders – aber natürlich kann der Erfinder dazulernen. Persönlich finde ich es schwierig, die Umverteilung von den aktiven Versicherten zu den Rentnern mit einer Senkung des Umwandlungssatzes stoppen zu wollen, wenn gleichzeitig ein neues Element eingeführt wird, das diese Umverteilung neu institutionalisiert. 

Sollen die Rentenbezüger an der Sanierung des Vorsorgesystems beteiligt werden oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?
Das ist definitiv ein Tabu. Die Rente muss verlässlich und stabil sein. Das System ist indessen so auszutarieren, dass die garantierten Renten risikoarm finanzierbar sind. Wären die Garantien auf einem realistischen Niveau, wäre es kein Problem. Sind die Garantien jedoch zu hoch, werden sie für die Pensionskassen zum Problem. 

Sind erste Konsequenzen der Corona-Krise auf die Altersvorsorge sichtbar?
Die massiven Einbrüche an den Börsen führten im Frühjahr 2020 bei vielen Pensionskassen zu deutlich tieferen Deckungsgraden. Als langfristige Anlegerinnen tätigten die PK aber keine Panikverkäufe, sondern kauften Aktien auf den tieferen Niveaus. Dadurch profitierten sie sehr deutlich von der markanten Markterholung. In Sachen Deckungssituation hatte die Pandemie bisher also keine negativen Folgen. Bei der Sterblichkeit sehen wir bislang ebenfalls keine grossen Effekte. Von einer grossen Pensionskasse aus der Deutschschweiz haben wir erfahren, dass sie 2020 – anders als im Hitzesommer 2003 – keine Übersterblichkeit zu verzeichnen hatten.

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Zur Person
Dr. Vera Kupper Staub
Präsidentin Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)

Vera Kupper Staub, 1967, hat ihr volkswirtschaftliches Studium an der Universität Zürich mit einer Dissertation im Bereich Finanzmarkttheorie abgeschlossen. Ihren beruflichen Werdegang startete sie 1992 als Beraterin von Pensionskassen im Anlage-Bereich. Von 2000 bis 2010 leitete sie den Geschäftsbereich Vermögensanlagen der Pensionskasse Stadt Zürich. Sie war Mitglied in verschiedenen Stiftungsräten und von 2012 bis 2019 Vize-Präsidentin der OAK BV, bevor sie 2020 das Präsidium der Oberaufsichtskommission übernahm. Kupper Staub wohnt in Zürich, ist in der Partei Die Mitte aktiv und präsidiert die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft (AWG) des Kantons Zürich.

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