Stefan Meierhans talking
echo-Interview, November 2022

Flexibles Rentenalter als mögliche Lösung?

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS WIRTSCHAFT UND POLITIK

echo-Interview mit Stefan Meierhans

echo-Interview mit Stefan Meierhans, Eidgenössischer Preisüberwacher

elipsLife echo: Strom, Gas, Benzin, Krankenkassen, Lebensmittel, Freizeit – alles wird teurer. Herr und Frau Schweizer sehen sich mit teils massiven Preisaufschlägen konfrontiert. Macht die öffentliche Hand genug gegen die Kostenexplosion?
Stefan Meierhans: Nehmen wir als Beispiel den Energiesektor: Ich habe diesen Sommer eine Empfehlung an den Bundesrat gerichtet, bei der Elektrizitätsrechnung für Entlastung zu sorgen. Mir geht es vor allem um die Netznutzung, die ja rund einen Drittel der Stromrechnung ausmacht. Während die Verknappung beim Energieteil den Handlungsspielraum einschränkt, sieht es bei der Netznutzung – notabene ein Monopolbereich mit regulierten Kosten – anders aus. Seit Jahren sage ich, dass wir die Netze vergolden. Bei der Festlegung des Netznutzungspreises gilt eine Eigenkapitalverzinsung von 6,96% – was absurd hoch ist. Auch die Fremdkapitalverzinsung ist mit 1.75 % zu hoch. Pro Jahr macht dieser Mehraufwand rund CHF 350 Mio. aus. Bereits 2017 hatte ich dem Bundesrat empfohlen, diese Verzinsung zu senken. Wir warten bis heute vergebens darauf.

Nebst Energieteil und Netznutzung werden bei der Stromrechnung auch Gebühren und Abgaben fällig. Wie sieht es hier aus?

Hier gilt das Gleiche. Allein der vom Bund bestimmte Netzzuschlag zur Förderung alternativer Energie beträgt 2.4 Rp./kWh. Viele Kantone und Gemeinden belasten den Strom zusätzlich mit Konzessions- und ähnlichen Gebühren. Diese steigen durchschnittlich von 0.9 auf 1.0 Rp./kWh, statt dass sie abgeschafft oder wenigstens ausgesetzt werden. Meine diesbezügliche Empfehlung fand bislang kein Gehör. 

Und warum reagiert der Bundesrat nicht? 
Die Stromunternehmungen sind meist Eigentum der Kantone und der Städte. Die Stromversorgung ist seit vielen Jahre eine Cash Cow des öffentlichen Haushalts – in Form hoher Dividenden, als Abgeltung für die Netznutzung und als Gebühren und Abgaben. Wer sich einmal an solche Einnahmen gewöhnt hat, kann nur schwer darauf verzichten. Mich ärgert es aber sehr, dass der Bund insbesondere bei der Netznutzung seine Hausaufgaben nicht macht.

Welche Aussichten auf Erfolg hat Ihre Empfehlung für die Netznutzung?
In der Herbstsession hat der Ständerat mit 20:19 Stimmen eine Anpassung der Verzinsung der Kapitalkosten und eine entsprechende Aufforderung an den Bundesrat beschlossen. Das freut mich und ist beachtenswert, weil im Ständerat gefühlt jedes zweite Ratsmitglied im Verwaltungsrat eines Stromversorgers sitzt. Auch im Nationalrat gab es zwei entsprechende Motionen. Die gegenwärtige Energiesituation scheint in der Politik einiges in Bewegung zu setzen. Mein Job ist nie ein Kurzstreckenlauf, sondern geht immer über die Marathondistanz. 

Anfang September forderten Sie die Banken auf, die aus Ihrer Sicht überrissenen Bankgebühren zu senken. Sind auch die Pensionskassen auf Ihrem Radar?
Der Preisüberwacher greift immer dann ein, wenn es «gefangene Kunden» gibt, also Leute, die nicht wählen können. Oder wenn der Preis nicht das Ergebnis eines wirksamen Wettbewerbs ist. Das BVG ist schon lange ein Thema. Ich erhalte immer wieder Bürgerbeschwerden wegen zu hohen Verwaltungskosten, hatte bislang aber schlicht nicht die Ressourcen, um mich vertieft mit dem Thema zu befassten. Für die Zukunft schliesse ich das jedoch nicht aus. 

Stefan Meierhans talking

Wie sieht denn über alles gesehen Ihre Bilanz aus?
Als Preisüberwacher gebe ich nicht nur Empfehlungen ab, sondern fälle auch Entscheidungen. So habe ich vor einiger Zeit ein Verfahren gegen booking.com eingeleitet, bei dem es um Provisionen geht, welche die Hotels bezahlen müssen. Bei der Swisscom habe ich eine Preissenkung für die Nutzung der Glasfaserkabel ausgehandelt und bei den SBB die Idee mit den Sparbilletts durchgesetzt. Im langjährigen Durchschnitt erreicht der Preisüberwacher Einsparungen von mehreren hundert Millionen Franken pro Jahr. 

Was geschieht, wenn Ihren Empfehlungen nicht gefolgt wird?
Folgt eine politische Behörde meiner Empfehlung nicht oder weicht sie davon ab, muss sie öffentlich erklären, warum. Das baut einen gewissen Druck auf. So wollte die Stadt Zürich den Parkkartenpreis mehr als verdoppeln. Ich habe dagegen empfohlen und die Stadt zog ihr Vorhaben zurück. In dieser Art landen viele grössere und kleinere Anliegen auf meinem Tisch und in der Summe ergibt das die mehrere hundert Millionen Franken Einsparungen pro Jahr für die Bürgerinnen und Bürger. 

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Ihre Amtsstelle?
Ich habe insgesamt 17 FTE als Mitarbeitende. Davon sind 60% Ökonominnen und Ökonomen, 20% Juristinnen und Juristen sowie 20% insbesondere im Sekretariat und der Marktbeobachtung. Die grösste Abteilung ist mit 4 FTE der Bereich «Gesundheit».

Das Gesundheitswesen ist auch ohne Corona ein Brennpunkt in Sachen Kostenexplosion. Wo sehen Sie in diesem Bereich mögliche Kostenbremsen?
Ich war 2017 Mitglied der Expertenkommission, die 38 konkrete Vorschläge machte, was im Gesundheitswesen geändert werden sollte. Ein Beispiel: Apotheker erhalten eine prozentuale Abgeltung für Medikamente, die sie verkaufen. Das sind heute 12% vom Fabrikabgabepreis. Läuft ein Patent ab, könnten billigere Generika zum Zug kommen. Verkauft der Apotheker das Original für 100 Franken, erhält er 12 Franken; verkauft er das Generikum für 50 Franken, bleiben ihm 6 Franken. Das ist ein Fehlanreiz im System: Die Abgeltung darf nicht prozentual vom Abgabepreis erfolgen, denn je teurer man verkauft, umso grösser die Abgeltung. Der Bundesrat könnte das ändern. Er hat 2015 auf eine Empfehlung hin von mir versprochen, er setze dies bis spätestens 2018 um. Jetzt schreiben wir 2022 und der Bunderat hat noch immer nichts gemacht. Ärgerlich!

Stefan Meierhans talking with his hands

Nicht nur die Krankenkassen-Prämienzahler, auch die KTG- und BVG-Versicherer sind mit laufend steigenden Gesundheitskosten konfrontiert. Eine grosse Rolle spielen psychische Krankheiten, umgangssprachliche Burnouts genannt. Laufen die Folgekosten psychischer Überlastungen am Arbeitsplatz aus dem Ruder? 
Burnouts sind ein Faktum. Bei der obligatorischen Krankenversicherung gibt es Stimmen, die eine Reduktion des Leistungskatalogs fordern - aber wenn Sie eine KTG-Versicherung verkaufen wollen und Burnouts ausschliessen, wer soll dieses Produkt noch kaufen? Es gibt neben dem Preiswettbewerb auch einen Leistungswettbewerb. Deshalb ist zu hoffen, dass generell mehr Burnout-Prophylaxe postuliert wird. Das ist eine volkswirtschaftliche Aufgabe, um die sich der Bundesrat zu kümmern hat.

Mit dem knappen Ja zur AHV 21 hat die Stimmbevölkerung die Blockade in der Altersvorsorge beendet. Jetzt fordert die Linke Massnahmen zur Frauenförderung in der 2. Säule. Wo setzen Sie die Prioritäten bei der anstehenden BVG-Revision?
Diese Frage muss die Politik entscheiden. Als Preisüberwacher bin ich eine gerichtliche Instanz, kein Politiker. Aus meiner Sicht steht daher die Kostenfrage im Vordergrund. Für die Politik liegt die Knacknuss hingegen beim Obligatorium: Teilzeiter oder Leute mit Erwerbsunterbrüchen, die nur den obligatorischen Teil haben, sind von den Anpassungen im BVG existenziell betroffen. Im überobligatorischen Bereich sorgen die Pensionskassen dafür, dass die Mischrechnung funktioniert. Deshalb müssen Lösungen für jene gefunden werden, die nur das Obligatorium haben. Das sage ich nicht als Preisüberwacher, sondern als Bürger. Denn für mich ist das aus gesamtgesellschaftlicher Sicht auch eine Frage der Solidarität. 

Spielt für Sie die Frauenförderung bei der BVG-Revision keine Rolle?
Auch Männer arbeiten Teilzeit, müssen Erwerbsunterbrüche verkraften und kommen nicht über das BVG-Obligatorium hinaus. Ich finde es falsch, Grundsatzüberlegungen auf die Geschlechterfrage zu reduzieren. Dass statistisch mehr Frauen in Teilzeit arbeiten, spielt doch bei der Problemlösung keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Problemstellung an sich, unabhängig von der Frage, ob Mann oder Frau. 

Was braucht es, um die BVG-Renten langfristig zu sichern?
Die Pensionskassen müssen ihre Verwaltungskosten senken und eine straffere Kostenorientierung einführen. Ausserdem muss der Fokus auf jene Leute gerichtet werden, die nur Leistungen im Obligatorium beziehen.

Wie hoch muss das Rentenalter sein, damit AHV und Pensionskassen langfristig auf solidem Fundament stehen? 
Ein definiertes Rentenalter ist als Referenzpunkt nötig, um die Berechnungen durchführen zu können. Dennoch ist ein fixes Rentenalter überholt. Bauarbeiter brauchen ein anderes Rentenalter als Bürolisten. Für Piloten oder Instruktoren der Armee gelten heute schon verschiedene Pensionierungsalter. Das ist der richtige Ansatz. Wir brauchen mehr Flexibilisierung und nicht Diskussionen über ein fixes Rentenalter. Am Anfang des Lebens haben wir diese Individualisierung bereits: Die einen gehen 12 Jahre zur Schule und profitieren 12 Jahre von staatlich finanzierter Ausbildung, andere gehen 20 Jahre in die Schule bzw. studieren und profitieren 20 Jahre vom Staat. Wenn wir das am Anfang des Lebens schaffen, warum sollen individualisierte Lösungen am Lebensabend nicht auch möglich sein?

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Zur Person
Stefan Meierhans
Eidgenössischer Preisüberwacher

Stefan Meierhans wurde 1968 in Altstätten im St. Galler Rheintal geboren. Er studierte Recht an den Universitäten von Basel, Oslo und Uppsala und schloss 1998 mit einem Doktortitel der Universität Basel ab. Meierhans arbeitete anschliessend im Bundesamt für Justiz und von 1998 bis 2003 im Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements im Stab der Bundesräte Arnold Koller und Ruth Metzler-Arnold. Danach war Meierhans in der Privatwirtschaft tätig. Seit dem 1. Oktober 2008 ist er Eidgenössischer Preisüberwacher. Er ist Mitglied der Partei Die Mitte. Meierhans ist verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Bern.

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