echo-Interview, November 2023

Stigmatisierung psychischer Probleme muss aufhören

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Andrea Jansen

echo-Interview mit Andrea Jansen, Journalistin, Unternehmerin und Gründerin der Plattform Any Working Mom

elipsLife echo: Frau Jansen, Sie sind auf vielen Gleisen unterwegs. Sie sind Unternehmerin, Journalistin, Verwaltungsrätin, Stiftungsrätin. Und Sie sind Mutter von drei Kindern. Droht nicht Gefahr, sich zu übernehmen?
Andrea Jansen: Das Risiko besteht durchaus (lacht). Meine Erwerbstätigkeit umfasst drei Hauptbereiche: Der erste und grösste ist Any Working Mom, die Online-Plattform für Eltern. Zweitens bin ich Stiftungsrätin bei der Jansen PrimeSteps Foundation, - die Stiftung gibt Anschubhilfe für Projekte, die Armut nachhaltig bekämpfen. Und drittens habe ich ein Verwaltungsratsmandat beim Mental-Health-Startup Aepsy. Daneben verfolge ich eine ganze Reihe kleinerer Projekte, habe drei Kinder, einen Partner, ein Leben und Freunde, die mir alle ganz, ganz wichtig sind. Deshalb ist die Frage, ob das alles zu viel wird, sehr berechtigt.

Sie stellen sich die Frage auch selbst?
Regelmässig. Ich bin in meinem Leben schon mehrfach an den Punkt gekommen, wo es zu viel wurde. Deshalb liegt mir das Thema am Herzen. Seit ich Kinder habe, bin ich jedoch nie mehr so nahe an diese Klippe gekommen. Ich spüre, dass ich mich nicht länger bis zum Gehtnichtmehr pushen kann, denn es geht nun auch um die Kinder. Ich bin mir meiner eigenen mentalen Gesundheit sehr bewusst und habe gelernt, Alarmsignale ernst zu nehmen.

Any Working Mom ist eine unabhängige Medienplattform. Sie finanzieren sich mit einem Mix aus Werbeeinnahmen und E-Commerce. Haben Sie mit diesem Konzept Erfolg?
Ja, für mich persönlich ist es eine Erfolgsgeschichte auf mehreren Ebenen: Uns gibt es nach sieben Jahren noch immer und wir sind in der Medienlandschaft präsent. Seit drei Jahren sind wir selbsttragend und stolz darauf, denn wirtschaftliche Stabilität ist im Medienbusiness nicht selbstverständlich. Für Eltern und werdende Eltern sind wir ein Vertrauensort, unser Brand ist synonym mit unserem Claim “mal ehrlich”. Ausserdem ist die Plattform auch ein Teamerfolg. Wir sind aktuell zehn Leute und die Art, wie wir zusammenarbeiten macht mir grosse Freude: remote, asynchron, über vier Länder und sogar zwei Kontinente hinweg. Das klappt, weil wir uns vertrauen und uns ein gesundes Arbeitsklima wichtig ist.

Die Plattform spricht vom Namen her Mütter an. Passt das noch? Der Trend geht doch in die Richtung, dass Väter bei der Kindererziehung eine gleichwertige Rolle spielen sollen.
Sollen? Eher dürfen! (Lacht). Super, dass Sie diese Frage stellen. Wir sind uns dieser Frage sehr bewusst und arbeiten an einer Lösung. Wir wollen Männer unbedingt auch ansprechen. Der gesellschaftliche Wandel in Richtung Gleichberechtigung lässt sich nur gemeinsam anpacken. Unserer Meinung wird die Wichtigkeit und die Kompetenz von Vätern bei der Betreuungsarbeit noch unterschätzt. Das kann und darf nicht sein.

Weshalb haben Sie sich als Investorin und Verwaltungsrätin bei Aepsy, einem Mental-Health-Start-up, engagiert?
Das ist eigentlich eine lustige Geschichte: ursprünglich überlegte ich mir, in welche Richtung sich Any Working Mom weiter entwickeln könnte. Da uns viele Leute mit Anliegen kontaktieren, die in den psychotherapeutischen Fachbereich fallen, und wir gleichzeitig für unsere Beiträge mit sehr vielen Fachpersonen eng zusammen arbeiten, kam die Idee, unsere über Jahre aufgebaute Community mit Fachpersonen aus der Psychotherapie zusammenzubringen. Bei der Marktrecherche entdeckte ich ein Ad der Firma Aepsy. So kam ich mit Nicolas Egger, dem Gründer von Aepsy, in Kontakt. Ich merkte sofort, dass da jemand etwas macht, das meiner Idee und meinen Werten entspricht. Aber ich stellte auch fest: sie machen es besser und waren schon viel weiter in der Entwicklung. Als ich dann die Gelegenheit erhielt, bei Aepsy einzusteigen, war das für beide Seiten ein Match.

Die Wartezeiten für psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen sind hoch, insbesondere in der Jugendpsychologie. Gelingt es Aepsy, Gegensteuer zu geben?
Aepsy kann sicher in die gewünschte Richtung wirken. Viele Menschen suchen akut psychotherapeutische Hilfe, wenn die Belastung schon sehr hoch ist, sind dann aber mit unglaublich langen Wartezeiten konfrontiert, wenn die Behandlung über die Grundversicherung läuft. Dabei werden die Probleme während dieser Wartezeit häufig schlimmer, der Heilungsprozess dadurch komplexer und länger. Aepsy dagegen wendet sich bereits in einer frühen Phase der Belastung an Menschen in der ganzen Schweiz. Dann, wenn noch nicht zwingend ein Krankheitsbild vorliegt und über die Grundversicherung abgerechnet werden muss. Psychologische Fachpersonen stehen so oft ohne Wartezeit zur Verfügung, die Behandlungszeiten sind kürzer, was zu einer raschen Senkung der Kosten und des Leidens der betroffenen Person führt. Wäre es nicht besser, im Sinne von erster Hilfe und insbesondere Prävention sofort ohne administrative Hürden mit einer Fachperson sprechen zu können? Ich hoffe sehr, dass mehr Versicherungen auf diesen Zug aufspringen und betroffenen Menschen diese Art Hilfe ermöglichen, indem sie präventive Massnahmen unterstützen.

Gemäss Aepsy-Website leiden in der Schweiz drei von zehn Personen an mentalen Herausforderungen, aber nur 33% der Betroffenen holen sich Unterstützung. Warum verzichten zwei Drittel der Betroffenen darauf?
Aus Scham. Und dem komplexen Zugang zur passenden Fachperson. Mein Wunsch wäre es, dass Gespräche über psychische Probleme so normal werden, wie über andere gesundheitliche Herausforderungen auch. Oft nehmen die Betroffenen ihre eigene mentale Belastung ja auch gar nicht ernst genug, weil im soziokulturellen Umfeld suggeriert wird, dass «das jetzt einfach dazugehört» oder “dass man da durch muss”. Hilfe anzunehmen und sie sich zu holen, sollte ganz normal werden.

Wo sehen Sie das grösste Verbesserungspotenzial?
Im Dialog und in der Aufklärung. Mein Lösungsansatz ist immer das «Darüber-Reden». Sobald psychische Probleme normalisiert sind, ist ein entscheidender Schritt getan. Ich kann heute wegen eines Arzttermins einem Bekannten problemlos einen Termin absagen. Warum gilt diese Selbstverständlichkeit nicht auch für Psychotherapien? Vorurteile und Hemmschwellen bezüglich psychischer Probleme sind heute noch immer weit verbreitet. Diese Stigmatisierung muss aufhören.

Wie beurteilen Sie die Dienstleistungen der Versicherungen im Bereich Mental Health? Nehmen Sie sie wahr?
Aus diesem Bereich habe ich bisher als Kundin nicht viel mitbekommen und daher schlussfolgere ich: es geschieht noch zu wenig. Es wäre schön, wenn Versicherungen mehr Leistungen aus dem Bereich der Psychotherapie und der psychologischen Beratung, wie jene von Aepsy abdecken, und den Patienten vergüten würden. Das wäre in der Sache ein Win: Einerseits wären die Patienten vermittelt und dies hoffentlich zu einer Fachperson, die helfen kann. Andererseits müssten Patienten, sollte es mit einer Fachperson nicht stimmig sein, in der Warteliste nicht wieder zurück auf Feld 1 und mit einer neuerlichen, langen Wartezeit rechnen, sondern man kann sich auf der Plattform von Aepsy mit einem Click mit einer neuen passenden Fachperson verbinden. Auch für Arbeitgeber könnte es sich lohnen, ihren Mitarbeitenden eine solche Hilfe anbieten zu können. Prävention ist auch wirtschaftlich interessant: gesunde und glückliche MitarbeiterInnen sparen auch Kosten.

Via Social Media machen viele vor allem junge Menschen grosse Bereiche ihres Lebens öffentlich. Hilft dieser Trend bei der Bewältigung von Lebensfragen oder erzeugt das mehr Druck im Alltag?
Das geht in beide Richtungen. Ich bezweifle, dass wir tatsächlich das echte Privatleben sehen auf Social Media - viel eher ist es wohl ein kuratierter Ausschnitt davon. Wer längerfristig alles von sich Preis gibt, wird merken, dass der ständige Blick von aussen extrem anstrengend ist.
Ich sehe jedoch auch das Positive dieses Trends. Wenn jemand ehrlich Einblick in das eigene Leben gewährt, erzeugt das Empathie. Sehe ich zum Beispiel via Social Media, wie jemand mit einer physischen Behinderung den Alltag mit all seinen Herausforderungen meistert, ist das für mich Horizonterweiterung. Ich beginne die Person, ihre Bedürfnisse und Anliegen zu verstehen. Konzeptlos das eigene Leben öffentlich zu machen, würde ich nicht empfehlen. Weil man dann keinen Rückzugsort mehr hat – und den braucht jeder Mensch.

Alle Bilder © Raphael Hug

Zur Person
Andrea Jansen
Unternehmerin, Journalistin, Verwaltungsrätin

Andrea Jansen, 1980, gründete 2016 die Elternplattform Any Working Mom und ist aktuell für die Strategie und das Business Development verantwortlich. Seit März 2023 ist sie Verwaltungsrätin des Mental-Health Start-ups Aepsy und seit 2013 im Stiftungsrat der Jansen PrimeSteps Foundation. In Ittigen bei Bern aufgewachsen, studierte Andrea Jansen an der Universität Fribourg Medien- und Kommunikationswissenschaften. Von 2005 bis 2011 war sie als Fernsehmoderatorin u.a. für das Schweizer Fernsehen tätig und moderierte Sendungen wie "Music Star", "einfachluxuriös", "Die grössten Schweizer Talente" und "SF Unterwegs”. Im Anschluss produzierte die Journalistin zwei Reportagen für SRF und war Mitgründerin des REPORTAGEN Magazins. Von 2012 bis 2018 war sie Partnerin bei Andreas & Conrad AG, der grössten People Agentur der Schweiz. Andrea Jansen ist verheiratet, Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Hawaii und Zürich.

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