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echo-Interview, Juli 2020

Die Pensionskassen brauchen keine Umverteilung à la AHV

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS WIRTSCHAFT UND POLITIK

echo-Interview mit Silvano Beltrametti

echo-Interview mit Silvano Beltrametti, Hotelier in Lenzerheide und ehemaliger Skirennfahrer

elipsLife echo: Lenzerheide positioniert sich als Bike-Destination erster Güte, entsprechend gross sind die Investitionen in Infrastruktur und Events. Geht die Rechnung auf?
Silvano Beltrametti: Ja, wir sind sehr zufrieden mit unserer Strategie. Vor gut zehn Jahren haben wir begonnen, in den Bike-Bereich zu investieren, und heute ist das Bike Kingdom Lenzerheide als grossartige Biker-Destination super positioniert. Wir bieten für alle Kategorien etwas an. Enduro-, Freeride- und Downhill-Fahrer kommen genauso auf ihre Rechnung wie e-Biker und Familien. Die Wertschöpfung für die Bergbahnen stimmt, weil Biker Tageskarten lösen und nicht bloss Einzelfahrten wie Wanderer. Und auch die Hotellerie profitiert. Ich habe in meinem Betrieb im Sommer 50% Wanderer und 50% Biker. Der Anteil der Biker ist somit beachtlich. 

Sie sprechen zielgerichtet Interessengruppen an, statt auf Massentourismus zu setzen. In Corona-Zeiten ein erfolgversprechender Weg?
Unser Augenmerk gilt dem Geschäftsfeld Sport und Familie, und zwar im Winter wie im Sommer. Lenzerheide setzt ja nicht nur auf die Bike-Strategie, wir sind auch eine sehr schöne Skiregion. Die Schneesport-Möglichkeiten im Winter sind äusserst vielfältig und umfassen nebst dem alpinen Skisport auch Langlauf und Winterwandern. Wir wollen ganz bewusst nicht auf allen Hochzeiten tanzen, aber was wir machen, machen wir gut. Mit dem Fokus auf das Biken im Sommergeschäft fahren wir jedenfalls sehr gut.

Hat die Forcierung des Sommergeschäfts dem Wintergeschäft geschadet oder profitiert Lenzerheide insgesamt davon?
Von schaden kann keine Rede sein, im Gegenteil. Im Sommergeschäft kämpfen alle Destinationen um jeden Gast. Wir sehen immer wieder, dass Leute, die im Sommer bei uns biken, dann auch im Winter Ski fahren kommen. Oder umgekehrt, dass Skifahrer zu uns im Sommer biken kommen. Das Sommer- und Wintergeschäft fördern sich gegenseitig. 

 

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Können Sie die Auswirkungen der Corona-Krise auf Ihr aktuelles Geschäftsjahr schon beziffern?
Beziffern kann man es sicher noch nicht, da sind die Ungewissheiten nach wie vor zu gross. Es war hart, Mitte März das volle Haus schliessen zu müssen, aber wir Bergregionen sind insofern mit einem blauen Auge davongekommen, als dass viele Betriebe nach Ostern für die Zwischensaison bis Ende Mai so oder so geschlossen hätten. Für unser Hotel rechne ich aufgrund der aktuellen Buchungslage mit einem starken Sommer und insgesamt einem guten Geschäftsjahr – sofern nicht eine zweite Welle mit neuen Restriktionen alles kaputt macht. Bis zur coronabedingten Schliessung Mitte März hatten wir einen Rekord-Winter.

Ihr Ausblick tönt optimistisch. Gilt das auch für andere Bergregionen?
In Lenzerheide beträgt der Anteil der Schweizer Gäste 90 bis 95%. Dies hilft in der aktuellen Corona-Zeit stark. Seit dem Lockdown sind praktisch alle Hotels bis August sehr gut gebucht. Wir haben immer viele Schweizer gehabt – und die kommen auch dieses Jahr wieder. In anderen Regionen ist die Ausgangslage schwieriger: Zermatt, Jungfraujoch oder Titlis zum Beispiel fehlen die ausländischen Touristen, und sie müssen jetzt 70, 80 oder noch mehr Prozent neue Gäste suchen. 

Was sind aus Ihrer Sicht die Ingredienzen unternehmerischen Erfolgs?
Zielstrebigkeit und der Wille, für etwas hart zu arbeiten. Das habe ich aus meiner Zeit als Spitzensportler mitgenommen. Zudem braucht es Visionen und Träume, die man umsetzen will. Und es braucht ein starkes Team. Auf meine Mitarbeitenden – wir sind im Sommer 16 und im Winter 30 Personen – muss ich mich verlassen können. Gerade im Winter, wenn wir an einem Spitzentag 800 bis 900 Essen servieren, ist ein schlagkräftiges Team unerlässlich. 

Hotellerie und Gastronomie schaffen viele Arbeitsplätze, zählen aber zu den Tieflohnbranchen. Welche Bedeutung hat da die Altersvorsorge?
Die Gastronomie beschäftigt allgemein viele Saisonniers. Das sind oft jüngere Leute, bei denen die Altersvorsorge schlicht noch kein Thema ist. Das sieht bei einer 50-jährigen Person anders aus. Bei Mitarbeitenden, die schon länger bei uns sind, ist das Thema Altersvorsorge durchaus präsent, über alles gesehen gibt es aber Wichtigeres.

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Der Bundesrat hat eine AHV-Reformvorlage verabschiedet, um die Finanzen der 1. Säule zu stabilisieren. Die Linke ist gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen, den Bürgerlichen fehlen Lösungen für die strukturellen Probleme der AHV. Wie sehen Sie den Vorschlag? 
Mit den Details der AHV-Reform bin ich nicht vertraut, aber dass wir wegen der finanziellen Schräglage der 1. Säule eine Reform brauchen, versteht sich von selbst. Zum Thema Rentenalter: Wir Bergler sind uns gewohnt zu arbeiten. Wenn es hier rund läuft, packt meine Schwiegermutter trotz ihrer 78 Jahre immer noch mit an. Ist jemand gesund, will er oder sie auch nach 65 noch arbeiten und eine Aufgabe haben. Klar können diese Menschen nicht mehr so powern wie eine 40-jährige Person, aber für mich als Unternehmer spielt das keine Rolle. Ich schätze die älteren Leute in meinem Umfeld sehr. Für viele Junge hat die Freizeit oft höhere Priorität, als vielleicht mal an einem „Grosskampftag“ kurzfristig einzuspringen. Diese Bereitschaft ist bei den älteren Mitarbeitenden deutlich ausgeprägter. Leider ist es heute so, dass sich die Anstellung älterer Mitarbeitenden finanziell nicht rechnet, weil die Kosten höher sind, zum Beispiel die Pensionskassenbeiträge. Die Politik muss hier die Weichen neu stellen und ältere Personen für den Arbeitsmarkt attraktiver machen. Wissen und Mentalität älterer Leute lohnen deren Anstellung allemal. 

Wie stehen Sie zur Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65? 
Wir reden immer von Gleichbehandlung und Gleichstellung von Mann und Frau. Das ist gut so und muss konsequent in allen Bereichen umgesetzt werden. Deshalb ist für mich gleiches Rentenalter für Mann und Frau logisch und zwingend.  

Der Bundesrat hat auch die Reform der 2. Säule aufgelegt. Demnach soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0% fallen. Die entstehenden Rentenausfälle sollen über einen via Lohnprozente finanzierten Rentenzuschlag kompensiert werden. Der richtige Weg?
Ich teile in dieser Frage klar die Meinung der bürgerlichen Parteien, die den über Lohnprozente finanzierten Rentenzuschlag als systemfremd für die 2. Säule ablehnen. Die 2. Säule soll eine individuelle Versicherung bleiben, eine Umverteilung à la AHV braucht es hier nicht. Wenn jemand einen Kaderjob hat und auch mehr verdient, ist es in Ordnung, wenn diese Person im Alter mehr bezieht als jemand mit einer einfacheren Anstellung, einem 8-Stunden-Tag und weniger Verantwortung.

Sind Rentenbezüger an der Sanierung der 2. Säule zu beteiligen oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?
Wer über Jahre ins System einzahlt, soll mit einer bestimmten Rente sicher rechnen können. Die Pensionäre können nicht das unternehmerische Risiko der Pensionskasse tragen. Das wäre in etwa gleich, wie wenn ich bei schlechtem Geschäftsgang meinem Küchenchef den Lohn kürzen würde. 

Wie können PKs aus Ihrer Sicht verhindern, dass trotz Corona-Krise, demografischer Entwicklung und Null-Zinsumfeld die 2. Säule nicht an die Wand gefahren wird? 
Ich bin kein Fachmann, der Pensionskassen Ratschläge geben kann, aber vielleicht hilft es, die Thematik einmal ein wenig grundsätzlicher zu betrachten: Noch im letzten Jahr stiegen die Börsen in unerwartete Höhen. Davon profitierten auch die PKs. Jetzt ist alles anders und eine Rezession zeichnet sich ab, die Ängste weckt. Auf gute Zeiten folgen härtere Zeiten. Es bleibt uns also nichts anderes, als vom Leben zu lernen: Es geht immer auf und ab.

 

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Zur Person
Silvano Beltrametti
Hotelier in Lenzerheide und ehemaliger Skirennfahrer

Silvano Beltrametti, 1979, ist gelernter Zimmermann, ehemaliger Skirennfahrer und heute erfolgreicher Hotelier in Lenzerheide. Bis zu einem folgenschweren Sturz im Dezember 2001 galt er als Hoffnungsträger im Schweizer Skirennsport. 1997 gewann er an der Junioren-WM Silber in der Abfahrt, an der WM 2001 in St. Anton verpasste Beltrametti Bronze nur knapp. Das beste Weltcup-Resultat gelang ihm im Jahr 2000 in der Abfahrt von Lake Louise mit dem 2. Rang. Sein grosses Ziel waren die Olympischen Spiele 2002. Der Start in den Olympiawinter 2001/02 war erfolgversprechend. Beltrametti fuhr in Val d’Isère im Super-G auf das Podest, einen Tag später, am 8. Dezember, stürzte er in der Abfahrt schwer und ist seither querschnittgelähmt. Nach dem Unfall und der sozialen Integration wurde er Projektleiter Events im Sport Management und absolvierte die Ausbildung zum technischen Kaufmann. Seit 2009 führt Beltrametti zusammen mit seiner Frau das familieneigene Berghotel Tgantieni.

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