Nachdem der Zusammenschluss der Konkurrenten Orange und Sunrise vom Tisch war, sagten Sie andere Konsolidierungsschritte voraus. Wie sieht die Situation heute aus?
Wenn ich mir die Anforderungen an die Infrastruktur in 10 Jahren vor Augen führe, komme ich zum Schluss, dass ein Stand-alone-Mobilfunkbetreiber kaum funktions-fähig ist. In 10 Jahren wird das Mobilfunknetz gänzlich anders aussehen als heute, Zehntausende von ganz kleinen Antennen werden die grossen Antennen von heute ersetzen. Und die neuen werden alle durch Glasfaserkabel angebunden sein. Es braucht diese Festnetz-Glasfaserinfrastruktur, um das Antennennetz für den Mobilfunk zu betreiben. Diese Entwicklung wird vom enormen Wachstum der Datenmenge auf dem Mobilfunknetz angetrieben. Heute haben wir ein Wachstum von 10 % pro Monat oder Faktor 3 pro Jahr. Angesichts der Finanzkraft, die es braucht, um die nötige Investition in Sicherheit und Leistungssteigerung stemmen zu können, können in einem Land maximal zwei bis drei solcher integrierter Infrastrukturen parallel aufgebaut und betrieben werden. Wir werden deshalb quer durch Europa Konsolidierungsschritte sehen.
Die Swisscom hat im Mobilfunk mit einem Marktanteil von über 60 % eine dominierende Stellung. Erwarten Sie regulatorische Schritte, die zum Ziel haben, dies zu ändern?
Nein, im Infrastrukturgeschäft führt eine höhere Anzahl Anbieter nicht zu mehr Wettbewerb, denn die kleineren Anbieter haben wie erwähnt Mühe, mitzuhalten. Die Schweiz ist innerhalb der OECD in einer beneidenswerten Situation. Sie gehört zu den Top-drei-Ländern, was die Pro-Kopf-Investitionen in die Telekommunikationsinfrastruktur betrifft. Hierzulande wird beispielsweise über dreieinhalbmal mehr pro Kopf investiert als in Österreich oder zweieinhalbmal so viel wie in Deutschland. Die Swisscom stemmt 70 % dieser Investitionen. In einer solchen Situation wäre es absurd, uns zu schwächen und den Mitbewerbern nicht zu erlauben, sich zu stärken.
«Die Zukunft der Telekommunikationsbranche ist aufregend», wirbt die Swisscom für sich. Die Gegenwart jedoch ist volatil. Im Februar 2013 vermeldeten Sie einen Gewinnsprung, ein Jahr zuvor war von Gewinnerosion die Rede.
Die Volatilität betrifft den Reingewinn, nicht den Cashflow. Nehmen Sie die Durchschnittsrendite der Swisscom-Aktie seit dem Börsengang mit jährlich 6 %. Dahinter steckt ein unglaublich anspruchsvoller Wandel. Von den 10 Milliarden Franken Umsatz, die wir vor 10 Jahren mit unseren Produkten hier in der Schweiz erzielten, sind noch 3 Milliarden da. Heute beträgt der Totalumsatz aber immer noch gegen 10 Milliarden in der Schweiz. Also machen wir heute 7 Milliarden Franken Umsatz mit Produkten, die es vor 10 Jahren noch gar nicht gab. Was von aussen sehr stabil und etwas langweilig aussieht, ist ein permanenter Strukturwandel. Wir fragen uns laufend, wo wir neue Mittel freimachen können, um sie in neue Aktivitäten zu investieren. Das ist sehr anspruchsvoll, auch für die Mitarbeitenden.
In KMUs kennt der Chef oder die Chefin die Mitarbeitenden persönlich, eine gewisse Nähe ist also gegeben. Was unternehmen Sie als Chef eines 19 000-Leute-Betriebes, um nah an Ihren Leuten zu bleiben?
Es kann nicht der Anspruch sein, dass ein CEO alles weiss, was in seinem Unternehmen abgeht. Wichtig ist zu spüren, wie die Menschen unterwegs sind, wie die Motivation ist, ob sie verstehen, was im Augenblick läuft. Dabei ist die interne Kommunikation zentral. Die klassische Top-down-Kommunikation hat allerdings ausgedient. Beim heutigen Veränderungsrhythmus wären bei der klassischen Top-down-Kommunikation die Dinge überholt, bevor sie unten ankommen. Heute sind die Dialogformen wichtig, und hier stehen uns unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Beispielsweise die Roadshows, mit denen ich pro Jahr 8000 bis 9000 Mitarbeitende erreiche. Ein anderes Format ist das interaktive Fernsehen. Unsere Mitarbeitenden sind nicht bloss Zuschauer, sondern steuern die Sendungen, indem sie sich via Social Media live einklinken und so die Fragen und den Fluss der Diskussion bestimmen. Chats, Blogs und Kommentarfunktionen im Intranet sind weitere Instrumente. So können wir ein Gefühl dafür entwickeln, wo die Probleme sind und was gut läuft. Gerade in einer Situation des permanenten Strukturwechsels ist es extrem wichtig, im Dialog mit den Mitarbeitenden zu stehen, weil dieser Wechsel Druck erzeugt. Wenn die Menschen nicht nachvollziehen können, woher der Druck kommt, gehen sie in eine Abwehrhaltung über. Und das blockiert das ganze Unternehmen. Menschen müssen wissen, warum etwas geschieht.
Gibt es ein Rezept, um die Wahrnehmung von Kundenbedürfnissen in einem Grossbetrieb sicherzustellen?
Wir müssen den Mitarbeitenden zuhören. Nicht die Marketingleute oder die Marktforscher haben das beste Verständnis dafür, was die Kunden wirklich bewegt, sondern die Mitarbeitenden an der Kundenfront. Marktforscher bilden mit ihren Zahlen Durchschnittskunden ab, die es so in der Realität nur eingeschränkt gibt. Gleichzeitig muss das Management den Kontakt zu den Kunden suchen — über Einsätze in den Call-Centern, in Shops oder durch den Besuch von Grosskunden. Unsere Konzernleitungssitzung machen wir beispielsweise einmal im Monat bei einem Grosskunden. Dabei suchen wir den Dialog mit der jeweiligen Geschäftsleitung, um zu hören, was sie bewegt und wo wir uns verbessern können. Es gilt, möglichst viele Elemente zu nutzen, um nah am Kunden zu sein. Sich dann so nahe wie möglich an den Kundenbedürfnissen zu bewegen, ist eine Frage der Unternehmenskultur. Beim Erfüllen von Kundenbedürfnissen geht es nämlich nicht darum, drei Entscheide pro Woche richtig zu fällen, sondern täglich Zehntausende von Entscheidungen an der Front zu treffen.