elipsLife echo-Interview mit Carsten Schloter
echo-interview, April 2013

Das Kopfweh nach hinten zu verschieben, ist nie eine gute Lösung

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

echo interview with carsten schloter

echo-Interview mit Carsten Schloter, ehemaliger CEO Swisscom

elipsLife echo: Seit der Abschaffung des Monopols vor über 10 Jahren reisst die Diskussion um die vollständige Privatisierung der Swisscom nicht ab, der Bund aber ist Mehrheitsbesitzer geblieben. Bringt diese Mehrheit der Swisscom heute mehr Vor- oder mehr Nachteile?

Carsten Schloter: Diese Mehrheitsbeteiligung ist ein entscheidender Faktor, weil wir in einem Infrastrukturgeschäft mit extrem langen Investitionszyklen tätig sind. Die Beteiligung des Bundes erlaubt uns eine langfristige Ausrichtung. Es geht nicht darum, in einem Quartal zu zaubern, sondern darum, langfristig das Richtige zu tun. Das ist bei Infrastrukturprojekten, wo heute für ein Geschäft investiert wird, das in 10 Jahren stattfindet, extrem wichtig. Die Swisscom-Aktie hatte letztes Jahr eine über 20 % bessere Performance als der Durchschnitt der europäischen Telekom-Aktien. Dies, weil die Swisscom frühzeitig und mehr in die neuen Themen investiert hat und heute deshalb deutlich besser positioniert ist. Unsere Aktionärsstruktur hat das ermöglicht.

elipsLife echo-Interview mit Carsten Schloter

Welches sind aus Ihrer Sicht die Ingredienzen des unternehmerischen Erfolgs der Swisscom?

Der grösste Wert ist das Vertrauenskapital, das wir von unseren Kunden erhalten. Mit der besonderen Rolle und Stellung, die wir als Swisscom in der Schweiz haben, ist auch eine besondere Verantwortung verbunden. Das uns entgegengebrachte Vertrauen ist mit Erwartungen verbunden. Erfüllen wir diese nicht, erodiert das Vertrauen. Ein Beispiel: Ohne dieses Vertrauen wäre uns der Einstieg ins Informatikgeschäft nicht gelungen. Von den heute rund 300 Banken in der Schweiz haben uns zwei Drittel Teile ihrer Informatik anvertraut. Das ist ein Vertrauensgeschäft. Der zweite Wert ist die Identifikation der Mitarbeitenden. Wenn Sie in einen unserer Shops gehen, spüren Sie, dass die Mitarbeitenden stolz sind, Teil des Unternehmens zu sein. Der Kunde spürt diese Identifikation, diese Motivation und Leidenschaft. Der dritte Wert ist die langfristige Ausrichtung. Swisscom hat eine hohe Stabilität in den Führungsteams und bei der Strategie. Und alles beginnt mit der langfristigen Ausrichtung der Aktionäre.

Der Bundesrat arbeitet an einer Reform der Altersvorsorge, die Linke fordert generell den Ausbau der 1. Säule namentlich zulasten der 2. Säule. Stehen den Pensionskassen stürmische Zeiten bevor?

Die Frage in Europa lautet: Wie gut sind die Sozialwerke und vor allem die Pensionskassen finanziert? Und damit verbunden: Für wen zahlen die Aktiven? Wenn die Aktiven massiv für die Rentenbezüger zahlen müssen, haben wir ein Problem. Das mag im Deckungsgrad nicht zum Ausdruck kommen, weil dieser eine technische Rechnung ist, die auf Annahmen und Parametern basiert. Wenn heute eine Pensionskasse einen Deckungsgrad von 100 % ausweist, ist dieser real garantiert nicht 100 % — weil mit -einer zu tiefen Lebenserwartung gerechnet und von einer zu hohen Rendite ausgegangen wird. Angesichts der Entwicklung der Alterspyramide und der allgemeinen strukturellen Herausforderungen, auf die Europa zusteuert, bin ich überzeugt, dass den Sozialwerken stürmische Zeiten bevorstehen. Wer aber tritt als Erster auf und sagt, dass es Reformen braucht?

comPlan, die Pensionskasse der Swisscom, ist in Sachen Leistungen Spitze. Auch nach der angekündigten Korrektur nach unten wird am Leistungsprimat festgehalten. Ist dieses Leistungsversprechen überhaupt noch haltbar?

comPlan hat ein Duoprimat, eine Mischform von Beitrags- und Leistungsprimat. Die Frage, ob die Versprechen haltbar sind, muss ich mit «Jein» beantworten. Das Versprechen baut auf Erwartungen auf. Im gegebenen makroökonomischen Umfeld, das vorläufig hochgradig volatil bleiben wird, eine Annahme zur erzielbaren Verzinsung zu treffen, ist ein Problem. Denken Sie an die Euro-Krise oder die Verschuldung der USA. Wer kann heute sagen, wie sich die Zinsen und Renditen langfristig entwickeln werden? Jede Zusage, die auf einer Annahme von beispielsweise 3,5 % oder 3,75 % basierend erfolgt, ist deshalb hoch spekulativ. Dem Arbeitnehmer zu vermitteln, es gebe eine 100 prozentige Sicherheit, ist falsch. Gleichzeitig sind die Zusagen nicht aus der Luft gegriffen, ihnen liegt eine bestimmte Anlagestrategie zugrunde. Gerade in diesem volatilen Umfeld ist es aber wichtig, die Reformen im Dialog mit den Sozialpartnern kontinuierlich voranzutreiben, denn das Kopfweh nach hinten zu verschieben, ist nie eine gute Lösung. Schiebt man Reformen auf die lange Bank, werden die Hürden immer höher und das Konfliktpotenzial immer grösser.

Technologie-Unternehmen kämpfen wegen Überalterung in ihren PKs mit einem ungünstiger werdenden Verhältnis zwischen Aktivbestand und Rentenbezügern. Hat die Swisscom schon daran gedacht, ihre PK für fremde Firmen zu öffnen?

Nein, das ist nicht unser Geschäft. Wenn wir dies für Dritte machen, müssten wir bestrebt sein, aus diesem Geschäft Wert zu generieren oder Risiken besser zu verteilen. Wenn ich aber feststelle, dass den Sozialwerken stürmische Zeiten bevorstehen, zweifle ich, ob dies eine gute Idee wäre.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden 3 bis 5 Jahre im BVG-Bereich?

Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Es braucht Reformen, das hängt vom politischen Mut ab. Zum Beispiel die Höhe des Rentenalters. Irgendwann wird man diese Frage angehen müssen, denn — wie bereits erwähnt — je länger man diese Diskussion nach hinten schiebt, desto schwieriger wird sie.

Wenn Sie heute den Pensionskassen in der Schweiz ­einen Rat geben könnten, wie würde dieser lauten?

Aktiv den Dialog mit den Sozialpartnern pflegen. Die Reformen müssen kontinuierlich vorangetrieben werden. Das funktioniert nur in einer vertrauensvollen Beziehung mit den Sozialpartnern. Um das Sozialwerk zukunftsfähig zu halten, braucht es den Dialog. Die Lebenserwartung der Menschen steigt unablässig, und das makroökonomische Umfeld bleibt volatil. Dreht man nicht fortwährend an den Stellschrauben des Systems, leidet dessen Solidität als Ganzes. Wer zwei Jahre lang alles beim Alten lässt, hat schon verloren.

elipsLife echo-Interview mit Carsten Schloter

Nachdem der Zusammenschluss der Konkurrenten Orange und Sunrise vom Tisch war, sagten Sie andere Konsolidierungsschritte voraus. Wie sieht die Situation heute aus?

Wenn ich mir die Anforderungen an die Infrastruktur in 10 Jahren vor Augen führe, komme ich zum Schluss, dass ein Stand-alone-Mobilfunkbetreiber kaum funktions-fähig ist. In 10 Jahren wird das Mobilfunknetz gänzlich anders aussehen als heute, Zehntausende von ganz kleinen Antennen werden die grossen Antennen von heute ersetzen. Und die neuen werden alle durch Glasfaserkabel angebunden sein. Es braucht diese Festnetz-Glasfaserinfrastruktur, um das Antennennetz für den Mobilfunk zu betreiben. Diese Entwicklung wird vom enormen Wachstum der Datenmenge auf dem Mobilfunknetz angetrieben. Heute haben wir ein Wachstum von 10 % pro Monat oder Faktor 3 pro Jahr. Angesichts der Finanzkraft, die es braucht, um die nötige Investition in Sicherheit und Leistungssteigerung stemmen zu können, können in einem Land maximal zwei bis drei solcher integrierter Infrastrukturen parallel aufgebaut und betrieben werden. Wir werden deshalb quer durch Europa Konsolidierungsschritte sehen.

Die Swisscom hat im Mobilfunk mit einem Marktanteil von über 60 % eine dominierende Stellung. Erwarten Sie regulatorische Schritte, die zum Ziel haben, dies zu ändern?

Nein, im Infrastrukturgeschäft führt eine höhere Anzahl Anbieter nicht zu mehr Wettbewerb, denn die kleineren Anbieter haben wie erwähnt Mühe, mitzuhalten. Die Schweiz ist innerhalb der OECD in einer beneidenswerten Situation. Sie gehört zu den Top-drei-Ländern, was die Pro-Kopf-Investitionen in die Telekommunikationsinfrastruktur betrifft. Hierzulande wird beispielsweise über dreieinhalbmal mehr pro Kopf investiert als in Österreich oder zweieinhalbmal so viel wie in Deutschland. Die Swisscom stemmt 70 % dieser Investitionen. In einer solchen Situation wäre es absurd, uns zu schwächen und den Mitbewerbern nicht zu erlauben, sich zu stärken.

«Die Zukunft der Telekommunikationsbranche ist aufregend», wirbt die Swisscom für sich. Die Gegenwart jedoch ist volatil. Im Februar 2013 vermeldeten Sie ­einen Gewinnsprung, ein Jahr zuvor war von Gewinnerosion die Rede.

Die Volatilität betrifft den Reingewinn, nicht den Cashflow. Nehmen Sie die Durchschnittsrendite der Swisscom-Aktie seit dem Börsengang mit jährlich 6 %. Dahinter steckt ein unglaublich anspruchsvoller Wandel. Von den 10 Milliarden Franken Umsatz, die wir vor 10 Jahren mit unseren Produkten hier in der Schweiz erzielten, sind noch 3 Milliarden da. Heute beträgt der Totalumsatz aber immer noch gegen 10 Milliarden in der Schweiz. Also machen wir heute 7 Milliarden Franken Umsatz mit Produkten, die es vor 10 Jahren noch gar nicht gab. Was von aussen sehr stabil und etwas langweilig aussieht, ist ein permanenter Strukturwandel. Wir fragen uns laufend, wo wir neue Mittel freimachen können, um sie in neue Aktivitäten zu investieren. Das ist sehr anspruchsvoll, auch für die Mitarbeitenden.

In KMUs kennt der Chef oder die Chefin die Mitarbeitenden persönlich, eine gewisse Nähe ist also gegeben. Was unternehmen Sie als Chef eines 19 000-Leute-Betriebes, um nah an Ihren Leuten zu bleiben?

Es kann nicht der Anspruch sein, dass ein CEO alles weiss, was in seinem Unternehmen abgeht. Wichtig ist zu spüren, wie die Menschen unterwegs sind, wie die Motivation ist, ob sie verstehen, was im Augenblick läuft. Dabei ist die interne Kommunikation zentral. Die klassische Top-down-Kommunikation hat allerdings ausgedient. Beim heutigen Veränderungsrhythmus wären bei der klassischen Top-down-Kommunikation die Dinge überholt, bevor sie unten ankommen. Heute sind die Dialogformen wichtig, und hier stehen uns unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Beispielsweise die Roadshows, mit denen ich pro Jahr 8000 bis 9000 Mitarbeitende erreiche. Ein anderes Format ist das interaktive Fernsehen. Unsere Mitarbeitenden sind nicht bloss Zuschauer, sondern steuern die Sendungen, indem sie sich via Social Media live einklinken und so die Fragen und den Fluss der Diskussion bestimmen. Chats, Blogs und Kommentarfunktionen im Intranet sind weitere Instrumente. So können wir ein Gefühl dafür entwickeln, wo die Probleme sind und was gut läuft. Gerade in einer Situation des permanenten Strukturwechsels ist es extrem wichtig, im Dialog mit den Mitarbeitenden zu stehen, weil dieser Wechsel Druck erzeugt. Wenn die Menschen nicht nachvollziehen können, woher der Druck kommt, gehen sie in eine Abwehrhaltung über. Und das blockiert das ganze Unternehmen. Menschen müssen wissen, warum etwas geschieht.

Gibt es ein Rezept, um die Wahrnehmung von Kundenbedürfnissen in einem Grossbetrieb sicherzustellen?

Wir müssen den Mitarbeitenden zuhören. Nicht die Marketingleute oder die Marktforscher haben das beste Verständnis dafür, was die Kunden wirklich bewegt, sondern die Mitarbeitenden an der Kundenfront. Marktforscher bilden mit ihren Zahlen Durchschnittskunden ab, die es so in der Realität nur eingeschränkt gibt. Gleichzeitig muss das Management den Kontakt zu den Kunden suchen — über Einsätze in den Call-Centern, in Shops oder durch den Besuch von Grosskunden. Unsere Konzernleitungssitzung machen wir beispielsweise einmal im Monat bei einem Grosskunden. Dabei suchen wir den Dialog mit der jeweiligen Geschäftsleitung, um zu hören, was sie bewegt und wo wir uns verbessern können. Es gilt, möglichst viele Elemente zu nutzen, um nah am Kunden zu sein. Sich dann so nahe wie möglich an den Kundenbedürfnissen zu bewegen, ist eine Frage der Unternehmenskultur. Beim Erfüllen von Kundenbedürfnissen geht es nämlich nicht darum, drei Entscheide pro Woche richtig zu fällen, sondern täglich Zehntausende von Entscheidungen an der Front zu treffen.

echo-Interview mit Carsten Schloter
Zur Person
Carsten Schloter
Ehemaliger CEO Swisscom

Carsten Schloter (†49) war von Januar 2006 bis Juli 2013 CEO der Swisscom AG. Er wurde 1963 geboren und war deutscher Staatsbürger. Der Diplom-Betriebswirt war von 1985 bis 1992 bei der Mercedes-Benz France SA tätig und von 1992 bis 1999 in verschiedenen Funktionen bei der debitel France SA und der debitel Deutschland. 1999 wurde er Mitglied der Geschäftsleitung der debitel AG. Carsten Schloter wurde im März 2000 Mitglied der Konzernleitung von Swisscom.