elipsLife-Interview mit Carl Elsener
echo-interview, Juli 2016

Wir müssen uns den demografischen Gegebenheiten stellen

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

Wir müssen uns den demografischen Gegebenheiten stellen

Echo-Interview mit Carl Elsener, CEO und Delegierter des Verwaltungsrats der Victorinox AG

elipsLife echo: Herr Elsener, Victorinox ist eine weltweit bekannte Marke. Was hat den Taschenmessern zu diesem unglaublichen Erfolg verholfen?

Carl Elsener: Qualität und Funktionalität spielen sicher eine entscheidende Rolle. Victorinox Taschenmesser sind dank ihrer vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten auch mehr als nur nützliche, zuverlässige Werkzeuge. Sie begleiten die Menschen nicht nur im Alltag, sondern sind auch dabei, wenn das Abenteuer lockt, sei es am Nordpol, auf dem Mount Everest oder in den tropischen Wäldern. Victorinox Messer kommen sogar im Weltraum zum Einsatz, gehören sie doch zur offiziellen Ausrüstung aller Space-Shuttle-Astronauten. Ein Journalist hat einmal geschrieben, Victorinox Taschenmesser seien „a friend, not just a knive“, Begleiter fürs Leben eben. Der kanadische Astronaut Chris Hadfield schildert in einem Buch seine Erlebnisse im All, unter anderem das Andocken mit dem Space Shuttle an die russische Raumstation Mir. Als es Schwierigkeiten beim Öffnen der Luke gab, erinnerte er sich seines Schweizer Armeemessers, mit dem er schliesslich die Luke öffnen konnte. Sein Fazit: „Never leave the planet without one!“

Die Victorinox AG verkauft ja nicht nur Taschenmesser, auch Reisegepäck, Bekleidung, Uhren und sogar Parfums finden sich im Angebot. Wie definieren Sie Ihr Unternehmen heute?

Wir sehen Victorinox heute als authentische Schweizer Multiproduktmarke, wobei das Swiss Army Knive das Kernprodukt unserer Firma ist und bleibt. Es dient zugleich als Inspiration für alle anderen Produktekategorien. Die Werte, die das Taschenmesser erfolgreich gemacht haben, versuchen wir auch in allen anderen Produktekategorien umzusetzen.

Und welche Werte sind dies?

Kunden in aller Welt vertrauen auf die Qualität, die Funktionalität, die Innovationskraft und das ikonische Design der Victorinox Produkte. Diese vier Werte stehen bei der Entwicklung neuer Produkte immer im Zentrum. Das verbindende Element unserer Produktekategorien ist die Tatsache, dass sie alle, ob Sackmesser, Bekleidung, Uhr, Reisegepäck oder Parfum, den Menschen im Alltag begleiten. Die Produktekategorie Parfum ist übrigens die einzige, die nicht in unseren Köpfen entstanden ist, sondern mit der Übernahme der Firma Wenger im Jahr 2005 in unser Sortiment kam. Wenger hat schon vor 25 Jahren Parfums im Sortiment gehabt.

Victorinox verkörpert den Begriff Swissness wie kaum eine andere Marke. Welchen Stellenwert spielt Swissness bei der weiteren Ausrichtung des Unternehmens?

Der Begriff Swissness fasst für mich alle Attribute zusammen, die in der Marke Schweiz zum Ausdruck kommen. Dazu gehören Qualitätsbewusstsein, Zuverlässigkeit, hohe Arbeitsmotivation und Bescheidenheit, aber auch weltoffenes Handeln und weitsichtiges Denken. Unser Wettbewerbsvorteil liegt ganz klar in der Kraft unserer Schweizer Marke mit ihrer über 130-jährigen Geschichte. Diese Kraft geht aus dem Zusammenspiel von Geschichte und Tradition auf der einen sowie Offenheit und Innovation auf der anderen Seite hervor. Victorinox ist ein Garant für Qualität, Zuverlässigkeit, Innovationskraft, Mut und Pioniergeist. Dies sind typische Schweizer Werte und sie sind ein starkes Element unserer Identität. Diese Werte werden für uns auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

Echo-Interview mit Carl Elsener

Wo produziert die Victorinox AG?

Die Mehrzahl unserer Erzeugnisse wird in der Schweiz produziert. Dazu gehören insbesondere die Taschenmesser sowie die Haushalt- und Berufsmesser. Die Uhren werden in Delémont und das Parfum in Möhlin hergestellt. Für die Bekleidung und das Reisegepäck sind aber auch wir auf Produktionsstätten im Ausland angewiesen, in denen die erforderlichen fachlichen, personellen und materiellen Ressourcen für eine wirtschaftliche Produktion vorhanden sind. Unser Markenversprechen gilt jedoch für die im Ausland gefertigten Produkte genauso wie für die in der Schweiz hergestellten Produkte.

Wie erwähnt ist das Taschenmesser das Kernprodukt von Victorinox und dient als Inspiration für alle unsere Produktekategorien. Es steht weltweit als Symbol für Schweizer Hochwertigkeit, unabhängig davon, wo die Fertigungsprozesse angesiedelt sind.

Welches sind die wichtigsten Absatzmärkte?

Unsere wichtigsten Absatzmärkte sind die USA, die Schweiz, Deutschland, Mexiko, China, Frankreich und England.

Welche Ingredienzen gehören aus Ihrer Sicht zu erfolgreichem Unternehmertum?

Der Unternehmenserfolg hängt immer von den Menschen ab, die hinter dem Unternehmen stehen. Die menschlichen und fachlichen Qualitäten der Mitarbeitenden und deren Zufriedenheit prägen sowohl unsere Produkte als auch unser Image. Entsprechend fördern und fordern wir unsere Mitarbeitenden, damit sie ihre Stärken entfalten und ihre Arbeit motiviert und mit Herzblut verrichten können. Will man im Weltmarkt erfolgreich sein, sind zudem die Produkte und Serviceleistungen auf die Kunden auszurichten: Ohne zufriedene Kunden kann kein Unternehmen langfristig erfolgreich bleiben. Bei Victorinox versuchen wir dies, indem wir unseren Kunden überzeugende Produkte und Leistungen anbieten. Auch haben wir uns immer bemüht, die Produktion weiterzuentwickeln und zu automatisieren, um im Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben und unseren Kunden für ihr Geld einen möglichst hohen Gegenwert bieten zu können. Schliesslich braucht es zum Erfolg harte Arbeit, grosses Engagement und immer auch eine Portion Glück. Natürlich müssen erfolgreiche Unternehmer auch gewisse Eigenschaften mitbringen. Sie müssen glaubwürdig und authentisch sein, und sie brauchen ein Gespür für das Machbare, Offenheit für Neues sowie Beharrlichkeit bei der Umsetzung.

Die Victorinox AG beschäftigt rund 2000 Mitarbeitende. Wie viele davon in der Schweiz?

Von unseren rund 2000 Mitarbeitenden arbeiten etwa 1200 in der Schweiz, davon 900 am Hauptstandort in Ibach-Schwyz. Die restlichen rund 800 Mitarbeitenden sind in Vertriebstochtergesellschaften in den für Victorinox weltweit wichtigsten Absatzmärkten beschäftigt.

Echo-Interview mit Carl Elsener

Spielt das Thema Altersvorsorge bzw. Altersvorsorgeleistungen bei Neuanstellungen eine Rolle?

Ja, in den letzten Jahren ist die Altersvorsorge zu einem Thema bei Neuanstellungen geworden. Früher reichte noch der Hinweis auf zeitgemässe Sozialleistungen, heute erwarten Stellenbewerber und Mitarbeitende weitergehende Informationen zur Ausgestaltung der sozialen Absicherung. Der Deckungsgrad der Pensionskasse, die Verzinsung des Altersguthabens oder der Umwandlungssatz sind Themen, die oft angesprochen werden. Weil Victorinox eine eigene Pensionskasse hat, können wir gleichsam aus erster Hand über diese Punkte informieren.

Wir haben gelesen, dass Victorinox noch nie jemanden aus wirtschaftlichen Gründen entlassen hat. Ist das ein Ergebnis des unaufhörlichen Geschäftserfolgs oder liegt dem eine bestimmte Wertehaltung zugrunde?

Dieser Tatsache liegen ein spezieller Fokus und eine bestimmte Wertehaltung zugrunde. Die Zusammenarbeit in der Victorinox-Familie ist stark von Werten bestimmt, die auf den Firmengründer zurückgehen. Dieser hat nicht nur das weltbekannte Schweizer Taschenmesser entwickelt, sondern auch die Werte, die das Unternehmen heute noch lebt, mit seiner Haltung geprägt und verankert. Diese Werte sind Offenheit, gegenseitiges Vertrauen, Respekt, Dankbarkeit untereinander, aber auch gegenüber Lieferanten und Kunden sowie eine Bescheidenheit, die dafür sorgt, auch bei Erfolg auf dem Boden zu bleiben. Der Erfolg des Unternehmens hängt nicht von Einzelpersonen ab, sondern vom guten Zusammenwirken vieler Teams. Diese Werte sind für unser Unternehmen sehr wichtig und wir bemühen uns, sie bei den Mitarbeitenden immer wieder bewusst zu machen und in der täglichen Arbeit vorzuleben.

Dann sind dies auch die Kriterien, nach denen Sie Ihr Unternehmen führen?

Ja, neben unseren vier Erfolgssäulen – Mitarbeitende, Kunden, Produkte und Marke – sind auch die Unternehmenskultur und die Werte, die wir leben, wichtige Erfolgsfaktoren. Für mich ist das Vorleben die wichtigste Eigenschaft, um Menschen erfolgreich führen zu können.

Die Schweiz hat mit dem 3-Säulen-System ein gut entwickeltes Vorsorgesystem, das die staatliche und private Vorsorge kombiniert. Wie sehen Sie die Zukunft dieses Systems?

Ich persönlich bin überzeugt, dass es ein vorbildliches System ist. Das 3-Säulen-Prinzip gilt unverändert als Vorzeigemodell im internationalen Vergleich, was ja auch die OECD immer wieder betont. Die Zukunftsaussichten sind meines Erachtens absolut intakt, wobei gerade die demografische Entwicklung und die seit Jahren sinkenden Kapitalrenditen gewaltige Herausforderungen darstellen.

Echo-Interview mit Carl Elsener

Überalterung und tiefe Zinsen setzen die PKs unter Druck. Werden Pensionskassen – und damit wir alle – Opfer von nicht finanzierbaren Leistungsversprechen?

Wie gerade gesagt: Die demografische Herausforderung und die Entwicklung der Kapitalrenditen stellen viele Pensionskassen aktuell vor fast unlösbare Probleme. Das Thema Altersvorsorge wird in den nächsten Jahren sowohl auf politischer Ebene als auch in der breiten Bevölkerung zu einem Schwerpunktthema werden. Dabei wird entscheidend sein, ob es gelingt, einen neuen, nachhaltigen Generationenvertrag auf die Beine zu stellen und entsprechende Lösungen zu finden.

Um die Reform der Altersvorsorge 2020 zu verstehen, muss man sich damit auseinandersetzen, es braucht Kommunikation. Ist dies in Ihrem Unternehmen ein Thema?

Da Victorinox wie erwähnt eine eigene Pensionskasse hat, spüren wir gut, was unsere Leute in diesem Bereich beschäftigt. Die Reform der Altersvorsorge 2020 ist momentan noch kein drängendes Thema. Wir nehmen natürlich die politische Diskussion in den Medien zur Kenntnis, aber noch ohne vertiefte Beurteilung. Wir sind zudem froh, dass unsere Pensionskasse noch immer sehr gute Leistungen mit einer Verzinsung von 4 % und einem Umwandlungssatz von über 7,8 % erbringen kann. Aber wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie lange wir diese Leistungen unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch halten können.

Sollen aus Ihrer Sicht die Rentenbezüger an der Sanierung des Vorsorgesystems beteiligt werden – oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?

Aus meiner Sicht ist es grundsätzlich heikel, erworbene Rentenansprüche anzupassen. Im Sinne einer Opfersymmetrie kann ein solcher Weg aber nicht ganz ausgeschlossen werden. Irgendwie müssen ja alle mithelfen und mittragen. Aber politisch ist das eine grosse Herausforderung.

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Wie stehen Sie zur Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65?

Die Gleichstellung des Rentenalters von Mann und Frau auf 65 ist für mich ein logischer und längst fälliger Schritt. Eine weitergehende Erhöhung des Rentenalters auf über 65 ist heute sicherlich nicht mehrheitsfähig, dürfte aber längerfristig ein Thema werden. Da müssen wir uns ganz klar den demografischen Gegebenheiten stellen.

Wenn Sie den Pensionskassen einen Rat geben könnten, wie würde er lauten?

Ich denke, man sollte ständig versuchen, vorausschauend zu handeln. Das heisst, dass Anpassungen frühzeitig erkannt und Lösungen in kleinen Schritten gesucht werden sollten. Auf diese Weise ist man nicht gezwungen, tiefschürfende, schwerwiegende, ja vielleicht sogar dramatische Entscheide plötzlich fällen und umsetzen zu müssen. Mein Rat wäre deshalb, nie zu übertreiben und möglichst nachhaltig zu denken. Was wir zudem in unserer Pensionskasse immer gemacht haben, ist eine möglichst breite Diversifizierung bei den Anlagen. Damit sind wir sehr gut gefahren.

Zur Person
Carl Elsener
CEO und Delegierter des Verwaltungsrats der Victorinox AG

Carl Elsener, 1958, aus Ibach-Schwyz, ist der Urenkel von Karl Elsener, dem Gründer von Victorinox. Er studierte Business und Marketing in der Schweiz und im Ausland – vor allem in Nordamerika – wo er zahlreiche Weiterbildungen in den Bereichen Management und Unternehmensführung durchlief. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist er direkt in den Familienbetrieb eingebunden, 2006 hat er die Leitung des Unternehmens übernommen. Carl Elsener glaubt fest an humane, nachhaltige und gerechte Geschäftspraktiken. Er hat massgeblich dazu beigetragen, Victorinox von der einfachen Messerschmiede zu einer weltweit bekannten Ikone zu entwickeln. Er gewann 2011 den Swiss Award in der Kategorie Wirtschaft und setzt sich leidenschaftlich für das einzigartige Design sowie die reiche Tradition der Entwicklung und Herstellung in der Schweiz ein.

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