elipsLife Interview mit Pius Bernet
echo-Interview, Juni 2017

Die Pensionskassen müssen effizienter werden

ELIPSLIFE ECHO - EINE GESPRÄCHSSERIE MIT PERSÖNLICHKEITEN AUS DER WIRTSCHAFT

echo-Interview mit Pius Bernet

echo-Interview mit Pius Bernet, Finanzchef Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil

Herr Bernet, das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) versteht sich als Marktführer im Bereich ganzheitlicher Rehabilitation von Querschnittgelähmten. Mit wem steht das SPZ marktwirtschaftlich im Konkurrenzkampf?

Pius Bernet: Das SPZ ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) und eine Spezialklinik für unfall- oder krankheitsbedingte Querschnittlähmungen. Die Stiftung hat der Klinik den Auftrag gegeben, die bestmögliche Rehabilitation von Querschnittgelähmten in der Schweiz sicherzustellen. Wir haben also einen gemeinnützigen Versorgungsauftrag. Nebst uns gibt es mit den Paraplegie-Rehabilitationszentren Balgrist Zürich, REHAB Basel und der Suva-Klinik Sion nur drei weitere Paraplegikerzentren. Diese verstehen wir als komplementäre, regionale Versorgungsdienstleister, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. In der Gesamtheit wollen wir alle die bestmögliche Versorgung von Querschnittgelähmten in der Schweiz und stehen darum marktwirtschaftlich nur bedingt in Konkurrenz.

Was unterscheidet das SPZ von den anderen Zentren?

Wir sind die grösste Akut- und Rehabilitationsklinik für Querschnittgelähmte in der Schweiz. Deshalb werden die schwierigsten und komplexesten Fälle hierher eingewiesen. In diesem Sinn haben wir eine Magnetwirkung für jene Fälle, die andernorts aus medizinischen oder wirtschaftlichen Gründen weder akutmedizinisch noch rehabilitativ behandelt werden können. Das Credo beim SPZ ist nicht die Maximierung des Ertrags, sondern die Fürsorge für den Patienten. Dennoch legen wir im Sinne einer Optimierung der uns anvertrauten Spendengelder grossen Wert auf eine hohe betriebswirtschaftliche Effizienz.

Erhält das SPZ Subventionen von der öffentlichen Hand?

Nein. Unsere Klinik steht auf der sogenannten Spitalliste. Das bedeutet, dass alle Kranken- und Unfallversicherten bei uns eingewiesen werden können. Im Rahmen des Krankenkassenversicherungsgesetzes bezahlen die Kantone wie bei anderen Spitälern einen Teil der Spitalleistungen. Dies ist somit eine Leistungsabgeltung, keine Subvention.

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Welche Rolle spielt die Schweizer Paraplegiker-Stiftung bei der Finanzierung des SPZ?

Das Leistungsversprechen der Stiftung lautet „Wir begleiten Querschnittgelähmte. Ein Leben lang.“ Die Stiftung setzt dies um, indem sie die Patienten in den verschiedenen Krankheitsphasen und Lebensabschnitten begleitet. Zu diesem Zweck hat sie verschiedene Tochtergesellschaften gegründet und Teile ihres statutenbedingten Gesamtauftrags an diese ausgegliedert. So macht die Klinik die sogenannte Erstversorgung nach dem Unfall, übernimmt den alljährlichen Check oder ist für die lebenslange akutmedizinische Komplikationsversorgung zuständig. Andere Organisationseinheiten wie unsere Garage von Orthotec, die jährlich rund 300 Fahrzeuge so umbaut, dass sie von Querschnittgelähmten gefahren werden können, übernehmen andere Teile des Gesamtauftrages. Diese Tochtergesellschaften haben einen Leistungsauftrag von der Stiftung, der subsidiär ist. Das heisst, dass die Leistungen primär nur erbracht werden, wenn sie Dritte nicht gleich gut oder zeitgerecht erbringen können. Wie jede andere Klinik auch erhält das SPZ von den Krankenkassen und den Unfallversicherungen aufgrund der Tarifverträge Geld für die erbrachte medizinische Leistung. Das SPZ erbringt aber auch Mehrleistungen, die nicht oder nur teilweise abgegolten werden – wie beispielsweise Massnahmen für die berufliche Wiedereingliederung. Das dadurch entstehende jährliche Betriebsdefizit wird von der Stiftung übernommen. Die Stiftung ihrerseits erhält von Gönnern und Spendern die Mittel dazu.

Wer entscheidet eigentlich, ob eine verunfallte Person ins SPZ in Nottwil eingeliefert wird oder in eine andere Klinik kommt?

In der Praxis läuft das sehr pragmatisch ab. Der Notfallarzt entscheidet aufgrund der Verletzung, wohin der Patient zur Sofortversorgung eingeliefert werden soll. Entscheidend ist dabei der kürzeste und bestmögliche Transportweg zur nächsten Notfallaufnahme, damit die notwendigen Lebenserhaltungs- und Stabilisierungsmassnahmen möglichst rasch eingeleitet werden können. Passiert in den Bündner Bergen ein Unfall, fliegt der Heli mit grösster Wahrscheinlichkeit ins Kantonsspital in Chur. Dort wird der Patient erstversorgt und je nach Umfang der Verletzungen und der Transportfähigkeit kommt er dann innerhalb 6 bis 36 Stunden ins SPZ. Bei der Wahl des Rehabilitationszentrums haben der Patient bzw. dessen Angehörige das letzte Wort.

Wie viele Patienten betreut das SPZ pro Jahr?

Das SPZ betreut rund 1‘100 Patienten pro Jahr mit rund 50‘000 Pflegetagen und 150 Betten, die mit einem Auslastungsgrad von 97% belegt sind. Der hohe Auslastungsgrad ergibt sich, weil die SPZ-Patienten aufgrund unserer lebenslangen Begleitung zu einem grossen Teil wiederkehrende Patienten sind. Dies, weil immer wieder akutmedizinische Erkrankungen, paraplegiespezifische Komplikationen, Funktionsverschlechterungen oder chronische Krankheiten auftreten und wir uns gemäss unserer Doktrin „Wir betreuen ein Leben lang“ auch für diese verantwortlich fühlen. Bekommt zum Beispiel jemand nach 30 Jahren im Rollstuhl Probleme mit dem Schulter- oder dem Handgelenk, kann er oder sie sich bei uns chirurgisch und/oder rehabilitativ behandeln lassen.

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Wie grenzt sich das SPZ von der Suva im Bereich der Rehabilitation ab?

Die Suva betreibt zwei eigene Rehabilitationskliniken für Patienten mit allen möglichen Unfallfolgen. In ihrem Rehabilitationszentrum in Sion, gibt es auch eine Abteilung für Querschnittgelähmte. Wir dagegen konzentrieren uns ausschliesslich auf Querschnittlähmung oder querschnittähnliche Indikationen, was auch dem Leistungsauftrag des Kantons Luzern entspricht, und zwar akutmedizinisch und rehabilitativ. Die Suva ist für uns ein wichtiger Partner, da ein grosser Teil unserer verunfallten Patienten bei der Suva versichert ist.

Der Anteil an allgemein versicherten Patienten, die im SPZ betreut werden, liegt bei 75% – ein für eine Privatklinik sehr hoher Anteil. Wie ist das möglich?


Durch den Leistungsauftrag des Kantons Luzern, der erwähnten Spitalliste, sind wir keine exklusive Spitalklinik, sondern mit dem Spezialgebiet Querschnittlähmung eingebettet in die Gesundheitsversorgung der Schweiz. Wir sind somit eine Akut- und Rehabilitationsklinik, in welche jeder mit einer Querschnittlähmung, unabhängig von der Versicherungsklasse, aufgenommen werden kann. Aufgrund der geltenden freien Spitalwahl in unserem Land kann jeder querschnittgelähmte Patient auch wünschen, zur Rehabilitation ins SPZ zu kommen. Vor diesem Hintergrund korreliert der 75%-Anteil allgemein versicherter Patienten in unserer Klinik in etwa mit dem schweizweiten Schnitt, der bei rund 80% liegt.

Der Begriff Vorsorge hat in Ihrem Umfeld eine besondere Bedeutung. Haben da Fragen rund um die AHV oder die Pensionskasse auch eine besondere Stellung?

Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeitenden beträgt 40 Jahre. In diesem Alter beginnt man, sich über die Vorsorge Gedanken zu machen. Für einen 25-Jährigen dagegen liegt das Thema noch in weiter Ferne. Als Arbeitgeber haben wir wegen des Fachkräftemangels grosses Interesse, ein sehr gutes Sozialleistungspaket anzubieten, zum Beispiel für Wiedereinsteigerinnen im Pflegeberuf, die bei uns oft auch im Teilzeitpensum arbeiten. Wie viele andere auch, mussten wir wegen der aktuellen Situation den Umwandlungssatz senken. Das wird zu einer geringen Rentenkürzung führen, doch der nötige, zusätzliche Sparbeitrag geht überproportional zulasten des Arbeitgebers. Zudem versuchten wir den höheren Abzug der Arbeitnehmer mit einem einmaligen Lohnzuschlag zu neutralisieren, insbesondere auf den tiefen Einkommensebenen.


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Die SPS (inkl. SPZ) beschäftigt rund 1600 Mitarbeitende. Spielt das Thema Vorsorge bei Neuanstellungen eine Rolle?

Nein, das ist kein Thema. Dies hängt aber auch damit zusammen, dass wir gerade im Pflegebereich vorwiegend junge Leute ausbilden und suchen. Und in jungem Alter ist Vorsorge schlicht noch kein Thema. Auf der anderen Seite müssen wir bei Spezialisten wie den Ärzten attraktive Dritte-Säulen-Pakete anbieten können, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.


Die Schweiz hat ein gut entwickeltes Altersvorsorgesystem, das mit den drei Säulen die staatliche und private Vorsorge kombiniert. Wird sich dieses 3-Säulen-System in Zukunft behaupten?

So, wie unsere föderalistischen Strukturen ticken und so, wie das bestehende System bereits sehr gut ausbalanciert ist, gibt es keine Alternativen. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir über die Möglichkeit froh sein können, an drei Orten schrauben zu können, um das Produkt bzw. das Resultat in der Gesamtheit im Lot zu halten. Aus meiner Sicht muss bei den tieferen Einkommen der Staat auf Seite AHV aktiv werden. Bei den mittleren Einkommen muss der Arbeitgeber im Rahmen der 2. Säule mehr mittragen, und bei den höheren Einkommen gilt es, die 3. Säule zu forcieren. So lässt sich ein gewisser sozialer Ausgleich erzielen.

Ist die vom Parlament verabschiedete Rentenreform Altersvorsorge 2020, über die wir im September abstimmen werden, in Ihrem Unternehmen ein Thema?

Als Arbeitgeber sind wir politisch neutral. Diskussionen zur Altersvorsorge 2020 laufen, wenn sie denn laufen, unter Kollegen am Mittagstisch oder beim Kaffee. Aber sicher nur bei Mitarbeitenden, bei denen die Vorsorge vom Alter her schon eine gewisse Rolle spielt. Zudem dürfen Sie nicht vergessen, dass wir im Schweizer Paraplegiker-Zentrum mit 22% einen recht hohen Anteil an ausländischen Fachkräften haben. Auch deshalb wird die Abstimmung in anderen Betrieben vielleicht mehr diskutiert als bei uns. 

Sollen Rentenbezüger an der Sanierung des Vorsorgesystems beteiligt werden – oder sind einmal erworbene Rentenansprüche tabu?

Will man eine Solidarität unter den Generationen erreichen, kommt man nicht darum herum, das zu enttabuisieren. Es kann nicht sein, dass die Jungen bezahlen, um historisch erworbene Rechte, die in guten Zeiten unter ganz anderen Rahmenbedingungen gewährt wurden, aufrecht zu erhalten. Dies würde ja bedeuten, dass wir die Jungen zulasten jener pönalisieren, die einfach Glück hatten, ihren Lohn in wirtschaftlich besseren Zeiten verdient zu haben. Die Senkung einmal erworbener Rentenansprüche darf deshalb meines Erachtens kein No-Go sein, muss aber mit Augenmass geprüft werden.  

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Welches sind aus Ihrer Sicht aktuell die grössten Herausforderungen für die 2. Säule?

Das grösste Problem ist sicher die Ertragslage wegen des Tiefzinsniveaus. Es ist umso gravierender, weil es nicht durch ein Land allein gelöst werden kann, sondern ein weltweites Problem ist. Das Tiefzinsniveau führt auch dazu, dass die Flucht in Immobilien und Aktien Bubble-Tendenzen ergibt, was zu einem bösen Erwachen im Anlagegeschäft führen kann. Der Anlagedruck ist sicher eines der grössten Probleme, das zu sinkenden Umwandlungssätzen und somit fallenden Renten führt.

Überalterung und tiefe Zinsen setzen die PKs unter Druck. Bringt die Altersvorsorge 2020 die Ungleichgewichte wieder ins Lot?

Persönlich hätte ich mir eine mutigere Lösung gewünscht. Aber das ist natürlich ein politischer Prozess und am Schluss ist es wie immer in der Schweiz: Der kleinste gemeinsame Nenner wird den Durchbruch bringen – und nicht die optimalste Lösung. In diesem Fall hat der Berg zwar keine Maus geboren, das Paket ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Eine nachhaltig zufriedenstellende Lösung sieht in meinen Augen aber anders aus.

Wenn Sie den Pensionskassen einen Rat geben könnten, wie würde dieser lauten?

Die Pensionskassen müssen effizienter werden. Das extrem heterogene und durch Gesetze und Verordnungen mit völlig unnötigen Administrationskosten belastete Pensionskassennetz in der Schweiz gehört optimiert. Und zwar so, dass wesentlich weniger Kosten entstehen. Denn diese schlagen am Schluss durch, wenn es um Rentenkürzungen geht. Bei der Ertragslage sind wir in die Weltwirtschaftslage eingebunden und können nicht viel steuern. Also lässt sich der Hebel nur bei den Kosten- und Prozessstrukturen ansetzen.

Also durch Fusionen grosse Pensionskassen schaffen?

Mir geht es um Effizienzgewinne. „Grosse Kassen“ heisst nicht, alles an einem Ort zu konzentrieren. Trotz grosser Kassen können die Betreuungsstrukturen dezentral bleiben. Ausserdem nutzen zurzeit nur wenige Pensionskassen die Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich aus. Auch die Komplexität im Gesetz muss reduziert werden: Um das BVG hat sich eine ganze Industrie aufgebaut, unzählige Experten sind nötig, um nichts falsch zu machen. Der Gesetzgeber muss in diesem Bereich für mehr Effizienz sorgen.

Zur Person
Pius Bernet
Finanzchef Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil

Pius Bernet, 1957, von Egolzwil (LU), ist seit 2009 Finanzchef der Schweizerischen Paraplegiker-Stiftung in Nottwil. Nach einer Banklehre und dem Abschluss des Studiums in Luzern als dipl. Betriebsökonom FH bildete er sich in verschiedenen Bereichen weiter und erwarb unter anderem an der Universität Fribourg ein MBA in Nonprofit-Management. Seine berufliche Karriere startete er bei Mövenpick, wechselte später zur Swissair Group und danach als CFO zu Schweiter Technology, Motorola Schweiz und Perrot Duval Holding AG/Infranor Inter AG. Bernet besetzt verschiedene Stiftungs- und Verwaltungsratsmandate und ist als Fachreferent unter anderen an den Universitäten Basel und Fribourg tätig. Im Januar 2016 wurde er vom CFO Forum Schweiz anlässlich des Swiss CFO Days zum CFO of the Year in der Kategorie Mitglieder gewählt.

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