echo-Interview mit Jérôme Cosandey, Directeur romand von Avenir Suisse, Forschungsleiter Tragbare Sozialpolitik
elipsLife echo: Avenir Suisse befürchtet, dass bald zwei Drittel aller Staatsausgaben für Soziales und Gesundheit verwendet werden. Geld, das andernorts fehlen wird. Dieser Trend ist auch der demografischen Entwicklung geschuldet, trotzdem fordern Sie eine Trendumkehr. Wie soll das gehen?
Jérôme Cosandey: Jährlich werden in der Schweiz rund 170 Mrd. Franken für Sozialausgaben ausgegeben. Die demografische Entwicklung lässt die Zahl der Rentner steigen, was die Transfers zwischen den Generationen vergrössert. Trotzdem will niemand die Renten kürzen – da herrscht Konsens. Umso mehr sind wir verpflichtet, die richtigen Sachen richtig zu tun, besonders bei Versicherungen mit «Konsumcharakter» wie der Invaliden-, der Arbeitslosen- und den Krankenversicherungen. Wir müssen uns fragen: Können wir mit dem gleichen Geld wie heute mehr erreichen bzw. wäre das Gleiche mit weniger Geld zu haben?
Ist mehr Effektivität allein der Schlüssel zur Lösung der IV-Probleme?
Auch hier müssen wir uns die Frage nach der Effektivität stellen. In unserer neuen Studie «Eingliedern statt ausschliessen», die auf Leute zwischen 20 und 60 Jahren fokussiert und welcher 250‘000 IV-Gesuche zugrunde liegen, sind wir der Frage nachgegangen, wie sich mit dem vorhandenen Geld mehr Leute wiedereingliedern liessen.
Avenir Suisse misst der Wiedereingliederung von Menschen, die durch Invalidität betroffen sind, grosse Bedeutung zu. In der erwähnten Studie haben Sie die Eingliederungsbemühungen nach Kantonen untersucht und erhebliche Unterschiede festgestellt. Was machen einzelne Kantone gut, was schlecht?
Wir haben einerseits die kantonalen IV-Stellen verglichen und andererseits das Wirken der involvierten Arbeitgeber, Ärzte, Krankentaggeldversicherer (KTG), Pensionskassen (PK) und der RAV beleuchtet. Bei der IV gibt es zwischen den Kantonen zwei Hauptunterschiede: erstens das kulturelle Verständnis der IV-Stellen selbst und der Gerichte, welche die IV-Entscheide bestätigen oder ablehnen, und zweitens die Art und Wirksamkeit der Wiedereingliederungsmassnahmen.
Für letztere Dimension haben wir untersucht, ob eine grössere Anzahl Leute eher weniger Geld oder weniger Leute eher mehr bekommen. Zudem haben wir angeschaut, wer eine Wiedereingliederungsmassnahme erhält, welche Alterskategorien zum Zug kommen und wie viel die Massnahmen kosten. Relevant war auch die Frage, wie viele Personen, die Massnahmen erhalten haben, am Schluss dennoch zu Rentenbezügern werden. Die Studie bezweckt kein «finger pointing». Vielmehr wollen wir die Unterschiede zwischen den Kantonen aufzeigen und dazu ermutigen, aus den Vergleichen Verbesserungen abzuleiten.