echo-Interview, Januar 2024

Anreize für präventives Gesundheitsmanagement schaffen

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Eric Bürki

echo-Interview mit Eric Bürki, Mitglied der Geschäftsleitung von Gesundheitsförderung Schweiz, Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement

elipsLife echo: Herr Bürki, die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz wird von den Kantonen und den Versicherern getragen. Via Krankenkassenprämien bezahlt jede Person monatlich 40 Rappen dafür. Was erhalten wir alle im Gegenzug?
Eric Bürki: Als Public Health Organisation mit 50 Vollzeitstellen stossen wir Massnahmen in den Bereichen Bewegung, gesunde Ernährung und psychische Gesundheit zugunsten der Gesamtbevölkerung an und koordinieren diese. Meist erkennt man uns «nur» in den Fussnoten, weil Kantone, Vereine oder NGOs die Massnahmen umsetzen. Ich selbst leite den Bereich Arbeit und Gesundheit, in welchem wir zusammen mit der Privatwirtschaft für Unternehmen Anreize schaffen, ein robustes Gesundheitsmanagement für ihre Mitarbeitenden aufzubauen. Dafür stellen wir Hilfsmittel zur Verfügung und vermitteln Fachkräfte, welche die Betriebe in ihren Bemühungen unterstützen.

Welche Angebote haben Sie und wie kommen interessierte Unternehmen an diese heran?
Neu legen wir den Schwerpunkt speziell auf Angebote für KMU, weil dort nicht nur die meisten Erwerbstätigen beschäftigt sind, sondern es auch einen hohen Handlungsbedarf gibt. Es fehlt an Geld und Zeit. Und man ist rasch überfordert, wenn es um anspruchsvollere Themen wie psychische Erkrankungen geht. 2023 haben wir zwei neue Angebote geschaffen: Das Leadership Kit richtet sich an Führungspersonen, die für sich selbst, aber auch für ihr Team bezüglich Gesundheit etwas machen wollen. Die HR-Toolbox dagegen ist für Leute, die für ihren Betrieb als Ganzes Verbesserungen bei der Gesundheitsförderung anstreben. Unsere Angebote sollen möglichst einfach sein und kleinere Sofortinterventionen ermöglichen.

Gesundheitsförderung Schweiz vergibt das Label “Friendly Work Space”. Was heisst das für ein Unternehmen, sich mit solchen Labels schmücken zu dürfen?
Das Label zeichnet Betriebe aus, die über ein robustes Gesundheitsmanagement verfügen – mit entsprechenden Prozessen, Verantwortlichkeiten sowie einer nachhaltigen Umsetzung der getroffenen Massnahmen. Basis ist immer eine Analyse, denn in Betrieben wird oft das Falsche richtig gemacht, gutgemeinte Aktionen, die aber nicht bedarfsgestützt sind. Ein gutes Gesundheitsmanagement schaut genau, wo der Schuh drückt und trifft Massnahmen gezielt an diesen Stellen. Zudem überprüft es, ob die getroffenen Massnahmen den gewünschten Effekt haben.

Zeigt diese Auszeichnung im Markt Wirkung, zum Beispiel beim Finden von Fachkräften?
“Friendly Work Space” ist das einzige Gesundheits-Label in der Schweiz. In HR-Kreisen ist es sehr bekannt, der Bekanntheitsgrad des Labels in der Bevölkerung beträgt 34%, was ein guter Wert ist. Seit einigen Jahren wenden wir uns mit Kampagnen direkt an Stellensuchende, wobei das Label im Zusammenhang mit Firmen erwähnt wird, die für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Wir erhalten auch von Firmen, die aktiv in Stelleninseraten mit dem Label kommunizieren, Feedback, dass die Auszeichnung eine grosse und glaubhafte Wirkung zeige.

Wie viele Unternehmen besitzen das Label bereits?
Aktuell gegen 110 Betriebe mit insgesamt rund 220’000 Mitarbeitenden, aber das Potenzial ist riesig. Die Initiative für dieses Label (friendlyworkspace.ch) wurde übrigens ursprünglich von grossen Unternehmen wie SBB oder Migros angestossen. Sie forderten Standards für ein gutes Gesundheitsmanagement, die Vergleichsmöglichkeiten erlauben. Die Unternehmen fragten uns an, die neutrale Vergabensstelle zu führen und die Idee inhaltlich weiterzuentwickeln. Zwischenzeitlich sind bereits ein Drittel der teilnehmenden Betriebe KMU. Ein robustes Gesundheitsmanagement ist nicht eine Frage der Betriebsgrösse. Es gibt heute auch bei KMU sehr gute Gesundheitsförderungsprogramme – und andererseits Grossbetriebe, die wegen ihren schlechten Schadenszahlen kaum mehr einen Kollektivkrankentaggeldversicherer finden.

Seit Jahren nehmen in der Schweiz die Fälle von Personen mit mentalen Gesundheitsproblemen zu. Gemäss Gesundheitsobservatorium liessen sich im Jahr 2020 über 500'000 Personen in einer ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis behandeln. Stecken wir in einer psychischen Gesundheitskrise?
Dass wir eine psychische Gesundheitskrise haben, würde ich so nicht unterschreiben. Der Grundstock an Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ist seit dem 2. Weltkrieg stabil bei 20 bis 25% der Gesamtbevölkerung, in der Schweiz genauso wie in anderen Ländern. Da die Schweiz zudem immer mehr auf eine Dienstleistungsgesellschaft zusteuert, führt dies zu einer Verlagerung: Standen früher Arbeitsunfälle oder Erkrankungen zum Beispiel bedingt durch körperliche Schwerstarbeit oder ein Asbest-kontaminiertes Arbeitsumfeld im Fokus, sind es heute die psychischen Krankheiten, sehr oft bedingt durch Zeitdruck, Erreichbarkeitsexzesse, Überforderung oder Konflikte.

Das Thema «psychische Erkrankungen» ist fast schon omnipräsent, oder?
Die Menschen sind viel sensibilisierter als noch vor 20 Jahren. Die höhere Präsenz des Themas im Alltag hat dazu geführt, dass es etwas von seinem Stigma verloren hat und auch bekannte Persönlichkeiten, Robbie Williams oder Natalie Rickly zum Beispiel, über schwierige Episoden in ihrem Leben sprechen. Was eine positive Entwicklung ist. Unsere Stiftung befragt regelmässig 1000 Mitarbeitende aus der ganzen Schweiz, wie hoch ihr Stressempfinden bei der Arbeit sei. Letztes Jahr gaben 30% der Befragten an, dass sie sich häufig emotional sehr erschöpft fühlten. Dies ist für mich eine beunruhigende Zahl. Diese Leute arbeiten hochtourig. Hält das an, besteht das Risiko, dass sie früher oder später ausfallen.

In Zusammenhang mit Mental Health kommt es oft zu längeren Arbeitsausfällen. Bietet Gesundheitsförderung Schweiz spezielle Unterstützungsprogramme an?
Da möchte ich auf die Prävention zurückkommen. Hier bieten wir sehr viel an. Muss eine Person berufsspezifisch oft unter Zeitdruck arbeiten, kann man nicht viel dagegen machen. Eine Pflegeperson wird beispielsweise das Problem mit schwierigen Klienten immer haben, das gehört gleichsam zu ihrer Arbeit. Aber es gibt Möglichkeiten, Folgen dieser Umstände abzupuffern, so dass die betroffene Person gesund bleibt. Da setzen wir an, wobei Früherkennung und Teamentwicklung sehr wichtig sind. In diesen Bereichen stellen wir Instrumente zur Verfügung. Ausserdem pflegen wir strategische Partnerschaften, um das Thema voranzutreiben, zum Beispiel mit den Versicherungen.

Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf in der Gesundheitsförderung?
Klar im Bereich der psychischen Gesundheit. Und da vor allem in der Prävention. Es gilt, vom Aktionismus wegzukommen und etwas aufzubauen, das auf einem klaren Konzept basiert. Der zweite zentrale Faktor ist die zunehmend wichtigere Rolle des Teams. Die Arbeitsformen verändern sich, viele Betriebe führen hierarchisch flachere Organisationsformen ein oder probieren neue Führungsmodelle aus, in denen Teams mehr Verantwortung zukommt. Die Teams sind schon heute ein zentrales Element für Stabilität und Zufriedenheit und je länger je mehr auch für die Früherkennung und Umsorgung belasteter Mitarbeitenden verantwortlich. Dies waren früher klassische Führungsaufgaben.

Wie beurteilen Sie die Dienstleistungen der Versicherungen im Bereich Mental Health?
Sie nehmen Fahrt auf. Viele Versicherungen, die ich kenne, bieten heute entsprechende Services an. Das ist sehr gut. Im besten Fall werden auch präventive Massnahmen aufgegleist. Allerdings können die Versicherer die grosse Nachfrage nicht befriedigen. Sie sind gegenüber ihren Firmenkunden eigentlich reaktiv unterwegs und kapazitätsmässig nicht in der Lage, alle zu bedienen. Meines Erachtens fehlen Anreize für die Betriebe, früher aktiv zu werden.

Sehen Sie aus der Perspektive von Gesundheitsförderung neue Versicherungslösungen im Bereich «Mental Health» oder zumindest Ansätze dazu?
Ja, die gibt es aus meiner Sicht. Zum einen die bereits erwähnten Anreize, welche Betriebe belohnen, die über ein gutes Gesundheitsmanagement verfügen. Ich kenne einen ziemlich grossen Betrieb, der bei der Erneuerung des Vertrags mit seiner Kollektivtaggeldversicherung aushandeln konnte, dass ihm die Re-Zertifizierung zum Label «Friendly Work Space» bezahlt wurde. Es wäre schön, wenn Versicherer nicht erst im Schadensfall Unterstützung im Bereich der Absenzen anbieten, sondern im Pricing mitberücksichtigen würden, ob ein Unternehmen bereits über ein funktionierendes Gesundheitsmanagement verfügt. Auch in der Früherkennung von Stress und Aufbau eines präventiven Gesundheitsmanagements könnten Versicherer noch vermehrt Leistungen anbieten.

Zur Person
Eric Bürki
Mitglied der Geschäftsleitung von Gesundheitsförderung Schweiz, Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement

Eric Bürki, 45, aufgewachsen in Bern, ist ein studierter Fachmann in internationalen Beziehungen und Wirtschaft. Nach einem Studium und einem zehnjährigen Aufenthalt in der Westschweiz, hat er sich beruflich in Bereichen wie NGO-Arbeit, Verwaltung und Unternehmensberatung bewegt. Dabei folgten diverse Weiterbildungen in Gesundheits- und Change-Management sowie Leadership. Seit 2013 ist er bei Gesundheitsförderung Schweiz tätig, seit 2022 in der Geschäftsleitung, wo er den Bereich Arbeit und Gesundheit und Wirtschaftsbeirat Friendly Work Space leitet. Bürki lebt mit seiner Familie in Herrenschwanden und engagiert sich als Lehrer einer vietnamesischen Kampfkunst.

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