echo-Interview, November 2024

Läuft uns die Künstliche Intelligenz den Rang ab?

ELIPSLIFE ECHO – EINE GESPRÄCHSSERIE MIT GESELLSCHAFTSVERTRETERN ZU KERNTHEMEN AUS DEM KTG- UND DEM UVG-ÖKOSYSTEM

echo-Interview mit Karin Frick

echo-Interview mit Karin Frick, Principal Researcher, Gottlieb Duttweiler Institut, Rüschlikon

elipseLife: Frau Frick, das Gottlieb Duttweiler Institut beschäftigt sich seit der Gründung 1963 mit Zukunftsfragen. Als Principal Researcher analysieren Sie Trends in Wirtschaft und Gesellschaft, unsere Zukunft ist sozusagen Ihr Alltag. Können Sie ob all der Unwägbarkeiten auf der Welt noch ruhig schlafen?
Sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen, ist nicht ein Privileg der Forschung. Jeder Entscheid jedes Menschen betrifft immer die Zukunft, ob Berufswahl, Partnerwahl, Weiterbildung oder Immobilienkauf. All diesen Entscheidungen liegen implizite Vorstellungen zugrunde, wie diese Zukunft aussehen sollte. Die Zukunft ist also immer präsent, aber unberechenbar. Sie ist Spekulation, kommt aber trotzdem fast nie überraschend, da sie das Ergebnis von vorangegangen Entwicklungen und Entscheidungen ist. Zwar gibt es unerwartete Ereignisse wie Unfälle oder Anschläge, doch neue Technologien brauchen nach der Erfindung meist Jahrzehnte, bis sich diese etabliert haben. Für die Öffentlichkeit mag die jüngst rasante Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz (KI) überraschend sein, für mit der Materie vertraute Menschen ist sie es nicht. Zukunft ist ein Möglichkeitsfeld, und die Auseinandersetzung mit diesen Möglichkeiten, den Risiken und Chancen, machen die meisten Menschen implizit. Machen sie es beruflich, ist die Auseinandersetzung explizit. Ich schlafe daher wahrscheinlich besser als jemand, der sich nicht dauernd mit diesen Fragen beschäftigt.

Sie haben es erwähnt: Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Oft hat man aber das Gefühl, dass unter diesem Begriff Unterschiedliches verstanden wird. Wie definieren Sie KI?
Unter KI verstehe ich Software. Im Unterschied zur Software, die wir seit Jahrzehnten brauchen, kann sie lernen und zunehmend autonom Fragen aufgrund unstrukturierter Daten beantworten. Neu lässt sich mit der Software sprechen, während man früher programmieren musste. Zudem entwickelt sich das Programm heute selbst weiter. Diese Lernfähigkeit ist ein entscheidender Unterschied zu bisheriger Software. Heute haben Maschinen mit KI gewissermassen Augen und Ohren, sie können zuhören und machen Interaktion möglich – bis zur Simulation menschenähnlicher Verhaltensweisen.

KI wird von Menschen erschaffen, also von einer bekanntlich durchaus fehlbaren Intelligenz. Weshalb soll KI nicht genauso fehlbar sein?
Sicher ist KI fehlbar! Ein immanenter Fehler von KI ist, dass diese Software keinen Schmerz empfindet. Menschen lernen aus Erfahrung, wie schmerzhaft Fehler sein können. Essen wir zum Beispiel etwas Falsches, haben wir Bauchschmerzen. Der Software dagegen tut nichts weh. Menschen haben zudem ein moralisches Empfinden, ob angeboren oder angelernt, welches der Software – zumindest vorläufig – abgeht. Die Tatsache, dass sie keinen Schmerz empfindet, macht sie fehleranfällig. Deshalb erscheint es auch sehr schwierig, dieser Software die Sensibilität mitzugeben, die wir Menschen haben.

Wo sehen Sie den grössten Nutzen von KI?
Im besten Fall verschafft Fortschritt Freiräume. Heute ist Strom einfach da, weshalb man nicht mehr darüber nachdenken muss, Holz zu beschaffen, um zu kochen oder sich zu wärmen. Fortschritt schafft Kapazität für andere Dinge. Dank neuer Technologien können wir uns schneller fortbewegen oder mehr, günstiger und konstanter produzieren. Allerdings stellt sich bei der Aussage «Software macht effizienter» die Frage, was wir mit den gewonnenen Freiräumen oder Kapazitäten machen. Produziere ich noch mehr Waren und verbrauche noch mehr Energie? Ist das sinnvoll? Der positive Aspekt von mehr Freiraum hängt davon ab, was wir damit anfangen – individuell und als Unternehmen.

… und wo die Gefahren?
Die weitere Entwicklung birgt die Gefahr, dass das System von niemandem mehr durchschaubar sein wird. Es wird zu einer Mega-Blackbox, der wir viele Entscheidungen überlassen werden. Dabei wird es immer das Interesse geben, die Kontrolle über diese Blackbox an sich zu reissen. In politischen Auseinandersetzungen ist das bereits deutlich erkennbar. Das System ist nicht demokratisch und ein Stück weit «out of control». Ich verstehe die Forderung nach Transparenz und Zulassungsbewilligungen für solche Software-Entwicklungen. Die Gesellschaft wünscht Regulierungen, weil ein enormes Missbrauchspotenzial mit zerstörerischen Folgen besteht. Auch bei der Entwicklung von neuen Medikamenten muss der Nachweis erbracht werden, dass sie keine schwerwiegenden Nebenwirkungen haben.

KI-Anwendungen dringen in immer mehr Lebensbereiche vor. Ist allfälliger Missbrauch – krimineller oder politischer Art – überhaupt kontrollierbar?
Es gibt heute schon virtuelle Influencer, die wie Menschen aussehen. Kommt die Software in Menschengestalt daher, wirkt sie verführerischer. Das vergrössert die Gefahr der Manipulierbarkeit, des Missbrauchs. Deshalb steht die Forderung im Raum, dass sich KI, die wie ein Mensch aussieht und spricht, als KI-Objekt zu erkennen geben muss. Um Missbrauch vorzubeugen, muss man sich bewusst sein, an wen man Entscheide delegiert. Wenn es darum geht, Massen zu steuern, hat KI ein hohes Missbrauchspotenzial. Umso wichtiger sind Schutzmassnahmen wie die erwähnten Regulierungen.

Mit der KI steht in der Arbeitswelt die nächste Stufe der Automatisierung vor der Tür. In welchen Bereichen beobachten Sie bereits Anwendungen?
Im Vordergrund stehen KI-Anwendungen bei Dienstleistungserbringern. So nutzen beispielsweise viele Firmen Chat Bots im Kundenservice. Anwendungen finden sich aber auch im Medizinbereich in Form immer besserer KI-Diagnosetools, in der Logistik oder im Finanzwesen zur Betrugserkennung.

Was steht im Vordergrund: Beschleunigung der Prozesse oder Erleichterung der Arbeit?
Für Unternehmen sind immer Kostensenkungen der Treiber. Es geht also um Effizienz und Produktivitätssteigerung – um schnellere und billigere Prozesse. KI wird heute vor allem für Routineprozesse eingesetzt, wo viele Daten verarbeitet werden müssen. Da die neue Software nicht nur schneller und billiger produziert, sondern neu auch lernen kann, ist ein System verfügbar, das extrem schnell lernt. Der Mensch lernt zwar auch, aber langsam. Aus ökonomischer Sicht werden Unternehmen deshalb mehr in schnell lernende Systeme investieren. Gehen aber zukünftig mehr Investitionen in KI-Systeme als in natürliche, humane Intelligenz, birgt das enorme gesellschaftspolitische Risiken.

Die nächste KI-Generation wird unsere Emotionen erkennen können und mit uns in Echtzeit kommunizieren. Wie wird das unsere Arbeitswelt verändern?
«Künstlich intelligente Charaktere» werden in Zukunft zu den Teams gehören. Teams werden also aus Menschen und Robotern bestehen. Es ist durchaus vorstellbar, dass in gewissen Bereichen der Roboter Chef oder Chefin sein wird.

… und unseren privaten Alltag?
Die KI wird nicht quasi als Chef Anweisungen geben in der Familie. Vielmehr wird KI zum Beispiel die Kalenderplanung mit Tipps und Vorschlägen unterstützen und helfen, den Alltag besser zu organisieren.

Welche Auswirkungen wird die Verbreitung von KI auf die Psyche der Arbeitnehmenden zeigen?
Die erste Auswirkung ist Existenzangst. Nicht die neue Technik macht Angst, sondern die Aussicht, dass die KI den Menschen die Arbeit wegnimmt. Keine Arbeit, kein Job, kein Geld, keine Existenz. Existenzangst ist ein Mega-Stress. Für viele Arbeitnehmende ist aus heutiger Sicht absolut unklar, wofür sie noch gebraucht werden, wenn KI ihren Job ausführt. Auch die Unternehmen haben nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage.

Wer haftet eigentlich, wenn die Nutzung von KI zu Schäden führt?
Die Frage nach der Haftung ist noch ungeklärt. Wer haftet, wenn ein Chat Bot eine Auskunft gibt, die für einen Kunden zu grossen finanziellen Verlusten führt? Oder für die Folgen einer falschen medizinischen Diagnose mit schwerwiegenden Konsequenzen? Das Fehlen haftpflichtrechtlicher Regelungen wird die Entwicklung künstlicher Intelligenz zumindest in gewissen Branchen bremsen. Und uns so wohl auch vor Wildwuchs an Anbietern schützen.

Zur Person
Karin Frick
Principal Researcher, Speaker GDI

Karin Frick, 1960, ist Principal Researcher und war über 20 Jahre Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und befasst sich seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen mit Zukunftsthemen, gesellschaftlichem Wandel und Innovation. Die Ökonomin erforscht den Einfluss des technischen Fortschritts auf Wirtschaft und Gesellschaft und referiert regelmässig über Trends und Gegentrends. Sie ist Mitglied des Stiftungsrats des liechtensteinischen Think Tanks zukunft.li und Verwaltungsrätin bei RitterSchumacher Architekten. Frick hat zwei erwachsene Söhne, wohnt in Thalwil und ist passionierte Langstreckenläuferin.

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